Übrigens …

La Juive im Nationaltheater Mannheim

Dem Untergang geweiht

Ein Musterstück der „Grand Opéra“. Im Jahr 1835 uraufgeführt, eroberte La Juive („Die Jüdin“) die europäischen Häuser. Denn der Komponist Jacques Fromental Halévy und sein Librettist Eugène Scribe hatten religiösen Fanatismus, wie er sich beim Konstanzer Konzil um 1414 mit Scheiterhaufen, Folter und erstarrter Ideologie manifestierte, zum Ausgangspunkt einer dramatisch zugespitzten Handlung mit schicksalhaften Verwicklungen genommen. Und es entstand ein gewaltiges musikalisches Panorama, denn Halévy packte alles hinein, was so dazu gehört, dass sogar Narziss Richard Wagner beeindruckt war: Hysterische Massenszenen, scharf pointierte Figurenzeichnung, mitunter brutal aufwölbende Orchesterpassagen – und außerordentlich innig-introvertierte Arien, wenn die Protagonisten ihre Positionen überdenken. Alois Seidlmeier reizt am Pult des ausgezeichnet artikulierenden Nationaltheater-Orchesters Mannheim die Partitur in vielen Facetten aus. Leuchtend, imaginativ und außerordentlich intensiv.

Die Positionen sind verhärtet. Éléazar, ein reicher jüdischer Goldschmied, hat in Rom die Tochter des späteren Kardinals Brogni aus einem brennenden Haus gerettet. Jener Brogni hatte aber Éléazars Söhne in den Tod geschickt. Éléazar bekommt Züge alttestamentarischer Härte, Brogni versucht zwischendurch Aussöhnung, das Mädchen Rachel verliebt sich in einen Christen, der sich in jüdischer Tarnung in Haus und Herz einschleicht. Schicksalhafte Tragik, denn die eigentlich christlich getaufte Rachel, per Sozialisation zur glaubensstrengen Jüdin erzogen, wählt mit ihrem Vater lieber den Untergang als das Leben. Doch der rachsüchtige Éléazar gibt dem jammernden Brogni noch einen mit, ja, dessen Tochter lebe, als Rachel gehe sie nun in den Tod.

In Mannheim inszeniert Peter Konwitschny das Stück mit der Ausstattung von Johannes Leiacker in zwiespältiger Manier. Die Koproduktion mit Gent hatte dort vor neun Monaten unter Polizeischutz ihre Premiere, und die damaligen Fragezeichen bleiben trotz all der nahegehenden Momente. Zivilisations-Skeptiker Konwitschny verlegt die Handlung, wie nicht anders zu erwarten, ins Heute, dennoch ins Niemandsland fratzenhafter Beliebigkeit. Es sind eher mafiöse, politische Strukturen, die Konwitschny zeigt, etwa den Geld-gegen-Schmuck-Kofferaustausch oder ein bisschen Waterboarding; Rachel droht gegen Ende mit dem Sprengstoffgürtel, der plötzlich im Akkord gefertigt wird, scheint doch die aberwitzige Welt dem Ende nahe.

Untergang des Abendlands vor der riesigen Rosette gotischer Kirche plus Gitterstelen, die Gefängnis und stilisierte Kirchensäulen andeuten? Schon deshalb ein bisschen verquer, weil sich Juden und Christen, von denen Text und Oper immerhin handeln, heute nicht mehr bekriegen, weshalb sich die Frage stellt, ob diese Oper im historischen Kontext nicht eher plausibel wäre. Dass zwischendurch Chor und Solisten sich unters Volk, sprich Publikum mischen, scheint deshalb leicht manieriert, weil Rachel in der französisch gesungenen Oper dabei noch auf Deutsch vor sich hinmosert: „Unglaublich, er singt eine Arie und in der Oper ist alles gut“. Ein netter Gag, aber auch nicht mehr. Unterscheidbar sind die verfeindeten Parteien an ihren Händen, die einen blau, die anderen blassgelb; Konwitschny hebt einen ehemaligen Glaubenskrieg ins allgemeine Desaster.

In den Solopartien gefällt Astrid Kessler als Rachel mit jugendlicher Ausstrahlung und tollem Sopran zwischen inniger Aura und großen, dramatischen Ausbrüchen ausgezeichnet; Zurab Zurabishvili schenkt dem Goldschmied Éléazar unbeugsame Härte und einen charakterstarken Heldentenor, der in der Höhe ab und zu etwas angestrengt wirkt. Witzig legt Estelle Kruger die betrogene Christenfrau Eudoxie mit hellen Koloraturen als liebessüchtige Naive an, denn ihr Kriegsheld Léopold hatte sich in Rachel verliebt, worauf das Drama seinen Lauf nimmt. Juhan Tralla stellt für diesen unsicheren, unentschlossenen Herrn einen gut austarierten Tenor bereit. Kardinal Brogni pendelt zwischen Glaubensstrenge und Empathie für jene, die er in den Tod schickt, der große Bass von Sung Ha bleibt nur in den bösartig-tiefen Tönen etwas blass. Komplettiert wird das Solistenensemble von Joachim Goltz als kerniger Stadt-Präfekt. Plakativ fallen die Chorszenen aus, denn der Wechsel von Massenhysterie und Beifallgetöse wird klanglich und darstellerisch extrem ausgenutzt.

Konwitschny und die Dramaturgie haben die Partitur gekürzt, was sicher kein Fehler ist, denn eine Ballettnummer passt sicher nicht mehr ins Konzept. Insgesamt ist sich das Premierenpublikum in Mannheim darin einig, eine bedeutsame, musikalisch grandiose Produktion erlebt zu haben.