Übrigens …

Katja Kabanowa im Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Drama in der Plattenbausiedlung

Das hoch angespannte Premierenpublikum wartete nach dem ergreifenden Opernfinale von Katja Kabanowa auf den ersten Einzelvorhang für Sabina Cvilak; die zierliche Sängerin hatte mit der Titelrolle eine phänomenale Leistung hingelegt. Leider gab es ihn nicht (oder sie wollte nicht); schon schade. Nun also Verbeugung aller, brav in der Reihe, wenngleich die Choreografie hier einige Heiterkeit erzeugte und noch etwas nachjustiert werden muss; der einhellige lautstarke und stehende Applaus für Sänger, Orchester und das Produktionsteam war mehr als verdient. Intendant Uwe Eric Laufenberg konnte sich in seiner launigen Ansprache bei der Premierenfeier schon auf die Schulter klopfen: 2015 die beste Auslastung seit 2009, durchweg hervorragende Sängerdarsteller, überwiegend erfolgreiche und spannende Inszenierungen, und eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung des Orchesters unter GMD Zsolt Hamar. Dieser wird das Haus zum Ende der Spielzeit vorzeitig verlassen; Gründe wurden nicht mitgeteilt. Der Intendant hatte dazu versichert, dass es zwischen ihm und Hamar keinerlei Missstimmung gegeben habe.

Mit Katja Kabanowa des Tschechen Leos Janácek kann die Staatsoper einen weiteren Pluspunkt für die Gunst des recht konservativen Wiesbadener Publikums gewinnen. Es ist nur zu hoffen, dass ein solches Werke ebenso wie auch die Elektra, die am 28.1. mit Catherine Foster in der Titelrolle Premiere hat, eine genügende Resonanz finden. Die Publikumsrenner Verdi, Puccini und Mozart sind unbestritten riesig gut, aber daneben gibt es so viel tolles und dramatisches Musiktheater. Wie schrieb der große Dirigent Michael Gielen richtig: „Oper ist nicht zum Duschen da“:

Der junge südafrikanische Regisseur Matthew Wild, Leiter der „Cape town opera“, hat mit seinem Europa-Debut eine stimmige und spannende Interpretation der Geschichte der Katja abgeliefert, die ihren schwächelnden Ehemann Tichon (überzeugend: Aaron Cawley) während dessen Reise mit ihrem Verehrer Boris betrügt. Und mit diesem Makel nicht leben kann und sich daher in die Fluten der Wolga stürzt. Die existiert in der schäbigen, heruntergekommenen und brandgeschädigten Plattenbausiedlung mit einem Putin-Wahlplakat in halb zerfallenem Bushäuschen irgendwo im Ostblock allerdings nur in der Unterwelt, quasi unter Gullydeckeln. Dennoch ist ihr Wasser allgegenwärtig, als immer wiederkehrendes Video, wo Katja in düsterer Vorahnung mit großen Armbewegungen taucht, und an vielen Stellen auf der Bühne, wo die Wassergeister immer wieder auftauchen, und in der sie zum Schluss ihren Freitod realisiert; moralisch und emotional am Ende.

Die düstere Szene wird beherrscht von einem ramponierten und unkindlichen Klettergerüst in Form einer Rakete, typisch für eine militante Gesellschaft, vielleicht aber auch als Symbol für die Sehnsüchte der Katja, dieser Welt zu entkommen. Und einer großen Schaukel, die einem kleinen Mädchen, welches zu Beginn aus dem Untergrund auftaucht und zum Schluss wieder verschwindet, als Spielgerät einer unschuldigen Jugend dient.

Den Konflikt Katjas zwischen Schuld und Selbstanklage bringt die Slowenin Sabina Cvilak, die auch bereits erfolgreich in Köln aufgetreten war, mit berückender Intensität und dramatischem wie auch sensiblem Sopran auf die Bühne. Ihre Abhängigkeit von der reichen Schwiegermutter Kabanicha (von Dalia Schaechter wie immer hinreißend gespielt und gesungen) ist die eine Seite ihrer Seele, die verbotene Liebe zu Boris (Mirko Roschkowski mit wunderbar lyrischem und in den Höhen offenen und sicherem Tenor) lässt sie sichtbar aufblühen, zerstört sie allerdings schlussendlich. Ganz große Oper in Katjas großer Verzweiflungsszene, beklemmend und so schön zugleich.

Wolf Matthias Friedrich überzeugt mit sehr lebendigem Spiel und sonorer Stimmgewalt als tyrannischer Oheim und Erbonkel Dikoj, Silvia Hauer gibt mit ihrem runden und wohlklingenden Mezzo der Figur der Warwara ein deutliches Profil. Auch Christian Balzer als Kuligin sowie viele weitere Mitwirkende singen und spielen hervorragend, ebenso wie der hier nur gering geforderte Chor.

Die zweite Palme des Abends gebührt zweifellos dem Dirigenten. Zsolt Hamar holte glühende Farben aus dem Staatsorchester, begleitete die Sängerriege sensibel und hochmusikalisch. Erfreulich präzise Bläser, satte Streicherfarben, ein durchsichtiger Klang, harmonisch, niemals aufgesetzt oder übertönend. So sollte es immer sein; schade dass Hamar geht. Aber so ist es halt im Leben.