Sinnloses Sein
Das Berliner Ensemble - kurz „BE“ - könnte man bei sarkastischer Betrachtung der Berliner Theatergroßwetterlage getrost an das Frankfurter Senckenbergmuseum verkaufen: Dort wäre das BE inmitten von Dinosaurierknochen und anderen ausgestorbenen Arten sicherlich gut aufgehoben. Die Zuschauer könnten statt ins „Brechts“ (Werbung auf der Eintrittskartenrückseite) mal an anderer Stelle ihren After-Theater-Drink nehmen: In einer der Kaschemmen am Rande der Hochhäuser, wo sich Broker nach Kurswechsel zu Technobeats auspowern, beispielsweise.
Aber so weit sind wir Gott sei Dank noch nicht; das Berliner Ensemble steht weiter an der Spree, begrüßt seine treuen Fans und eine programmatische Frischzellenkur ist nicht in Sicht!
Nun feierte „Der Selbstmörder“ Premiere. Ein Stück, das einem vielversprechenden Jungdramatiker namens Nicolai Erdman einst entschlüpfte und noch vor der Premiere 1932 in der Sowjetunion verboten wurde. Die Aufdröselung des Kommunismus am Beispiel des Protagonisten Semjon (gespielt als bräsiger Typ mit heftigen Stimmungsschwankungen zwischen larmoyant bis polternd: Georgios Tsivanoglou), der sein armseliges Leben satt hat und sich lieber umbringen möchte, brachte Erdman eine satte dreijährige Verbannung des sowjetischen Regimes ein.
Am Berliner Ensemble hat man den Text des damals jungen Wilden in die Hände eines heutigen Jungen nicht ganz so Wilden gegeben: Der Franzose Jean Bellorini ist 34 Jahre alt und darf sich damit rühmen, „eine der großen Hoffnungen des französischen Theaters“ zu sein. Der Selbstmörder ist seine erste Inszenierung in Deutschland.
Der Franzose hat den Text mit wenig Phantasie auf die Bühne gebracht. Zwar kommen die Charaktere gut raus (Semjons Schwiegermutter Serafima wird mit Plastizität von Carmen-Maja Antoni gespielt, und Semjons Ehefrau Maria gibt Larissa Fuchs viel Präzision und Selbstbewusstsein), doch alles in allem wird von Bellorini die Zeitmaschine angeworfen und das Ganze kommt doch reichlich altbacken daher.
Überzeugend ist es, wenn Semjon in die Innenschau geht und seine Gedanken zum Leben dem Zuschauer entgegen wirft, nach dem Sinn seines Seins fragt. Ja, das ist es eben, wie es die Zuschauer am BE lieben: Theater ohne Schnörkel und großes Tamtam!
Dem Premierenpublikum am Berliner Ensemble hat's prächtig gefallen, Schauspieler und Regisseur, der auch für das miefige Bühnenbild zuständig war, wurden für die Theaterleistung mit „Bravo“-Rufen belohnt.
Und im „Brechts“ war die Heizung bereits angeworfen.