Übrigens …

Arminio im Badisches Staatstheater Karlsruhe

Guillotine für den Bösen

Das Leben kann schön sein, zumindest an manchen Tagen. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe zeigt das Eröffnungsbild eine aufgebrezelte Familie, die von Lakaien, bedient an fürstlicher Tafel dinieren will. Es könnte der Großherzog von Baden um 1800 sein, ehe die Idylle jäh unterbrochen wird: Die Truppen des Feindes, das kann ja nur der korsische Usurpator sein, erobert das Land. Vorschub hat ihm ein machtlüsterner Intrigant geleistet. Es wird fröhlich geplündert, die Beutekunst kriegt neuen Platz. Später, auch das ist eine geschichtsimmanente Parallele, wird sich das Blatt wenden und die schön kostümierte Familie nimmt wieder Platz am Tisch, um zu dinieren. Allerdings: Der Böse wird guillotiniert, und seine zaghaften Verwaltungsreformen, übertrug er doch den „Code Civil“ eifrig auf viel Papier, werden der Restauration zum Opfer fallen.

Das also ist die Sicht von Max Emanuel Cencic, der inszeniert und die Titelpartie singt. Für ihn ist die Oper hauptsächlich ein Familiendrama, das von politischen Parametern und Einbrüchen entscheidend zugespitzt wird. Denn Vater-Sohn-Konflikt oder töchterlicher Ungehorsam (nur die Liebe siegt?) werden durch väterlichen Loyalitätswechsel und Liebe zum Feind entscheidend befördert. Der Staub, der so oft über den Sujets der Barockoper liegt, scheint hier hinweg gepustet. Die Ausstattung mit den Kostümen von Corina Gramosteanu und dem Bild von Helmut Stürmer mit Schlossfragmenten und fein ausgeführten Interieurs passt sehr gut ins dramaturgische Konzept.

Die Bühne mit drei konzentrischen Ringen wird eifrig gedreht, was Szene und Figuren in Bewegung hält, um damit die Statik einer Nummernoper aufzubrechen, auf dass sich die Protagonisten entfalten. Star des Abends ist die Sopranistin Layla Claire als liebreizend-zerquälte Tusnelda, die ihre Stimme von innigstem Schmelz über lustvolle Koloraturen bis hin zu dramatischer Schärfung führt. Max Emanuel Cencic lässt es als Arminio zuweilen ein wenig an Intensität fehlen, läuft aber im dritten Akt zu großer Form auf. Ihm zur Seite zwei weitere Counterstimmen: Owen Willetts, Römer-Hauptmann Tullio, in Spiel und Stimmführung äußerst präsent, sowie Vince Yi als schillernder Sigismondo: Die hell auflodernde Stimme dieses Sopranisten ist ideal für die selbstverliebte Figurenzeichnung. Pavel Kudinov singt den Segeste, Germaniens oder Badens Verräter, mit strömendem Bass; Juan Sancho kommt als Oberbefehlshaber Varo mit charaktervollen Tenorfarben zur Geltung und die Altistin Ruxandra Donose darf als Ramise das komische Liebes-Pendant zum hübschen Sigismondo ausleben. Wie überhaupt im Finalakt an Gags bis hin zu Slapstick nicht gespart wird – wäre da nicht die Guillotine. Die hatte Händel nicht vorgesehen, sie war noch nicht erfunden.

Getragen und beflügelt werden die Sängerinnen und Sänger vom illustren Barockensemble „Armonia Atenea“ unter George Petrou, der kenntnisreich und und sensibel die Affekte, Klangschraffuren und weitgespannten Tempi zu einem spannungsvollen Musikdrama ordnet. Vielleicht ist das Staatstheater einen Tick zu groß für die feinfühligen Orchesterfarben, doch wer hören will, tut dies mit großem Genuss. In Karlsruhe stößt Arminio auf großen Zuspruch – die Händelfestspiele haben wieder eine grandiose Opernproduktion im Angebot.