Besuch der alten Dame
Da bebt das immerhin aus gutem Beton gefügte Nationaltheater Mannheim in seinen Grundfesten. Denn einiger Donnerhall und grelle Lichtblitze gesellen sich zu der von Alois Seidlmeier mit dem NTM-Orchester plakativ und böse ausgelebten Musik, mit der das Zerbrechen einer Gesellschaft und der Ruin ihrer Figuren illustriert wird. Tilman Knabe will den Kapitalismus mit seinen Folgen entlarven und die Fragilität menschlicher Existenz gleich dazu. Eine groteske Scheinwelt geht unter, ganz drastisch werden General und Casinochef von übergroßen Krokodilen in den Abgrund gezerrt. Denn die Figuren – Dostojewski hat seine eigene Spielsucht autobiographisch eingearbeitet und mit dem fiktiven Ort Roulettenburg das schöne Wiesbaden gemeint - sind im Wahn des Geldes gefangen. Börsenkurse zucken über zwölf Monitore, im Schlussakt flattern Myriaden von Geldnoten über den Ober-Spieler Alexej; die Bühne ist düster und hauptsächlich Leerraum, denn der General ist pleite, wahrscheinlich hat er die guten Möbel schon versetzt. Allenfalls Suff ist noch möglich.
Hoffen und Bangen. Hauslehrer Alexej, der Spieler, wird von Zurab Zurabishvili mit großem, heldischem Tenor bis hin zur Revoluzzerpose gestemmt und gespielt, wenn er verzweifelt statt Pulsaderschnitt zur Kalaschnikow greift und vom Rang rechts und links agitatorische Stoffbahnen enthüllt werden: Nieder mit den Banken; gegen Tierversuche. Lange zuvor hatte der bankrotte General, dem Sebastian Pilgrim einen durchschlagkräftigen Bass und knorrige Ausstrahlung leiht, auf den Tod der Erbtante gehofft. Doch, oh Wunder, plötzlich erscheint sie per Sänfte, flankiert von Bodyguards und mischt den maroden Laden auf.
Besuch der alten Dame, man fühlt sich an Dürrenmatts Claire Zachanassian erinnert. Sie scheint von Grund auf böse und selbstsüchtig. Edna Prochnik profiliert sie grandios, schillernd und facettenreich in Spiel und Gesang. Sie verspielt ein Vermögen und schert sich nicht darum, ob die Verwandten endgültig ruiniert sein werden. Warum auch? Man lebt nur einmal. Doch gibt es in dieser Oper auch seelisch differenzierte Frauengestalten. Ludmila Slepneva legt die Polina sehr differenziert an. Kann sie lieben, oder aus Verstörung heraus nur zerstören? Der Sängerin glückt eine wunderbare Studie. Lottergirl Blanche wird von Ludovica Bello mit lasziver, geldgieriger Geste ausgelebt. Wenn sie es Männern besorgt hat, muss eine muslimisch schwarz gekleidete Putzfrau die Säfte aufwischen. Auch das ein deutliches Bild der Knabe-Gesellschaftskritik. Dass ein Haus dieser Qualität auch alle anderen Positionen sehr gut besetzt, versteht sich von selbst.
Tilman Knabe hat mit seiner fünften Inszenierung in Mannheim das Publikum überzeugt, weil auch die satirischen Elemente nicht zu kurz kommen. Ob drastisch oder Parodie, eine innere Stimmigkeit trägt den fulminanten Abend.