Übrigens …

Das Feuerschiff im Berlin, Deutsches Theater

Die Lüge des Erzählers

Und auf einmal ist es da. Verdeckt durch das Meer, die Wellen, höher als die Augen blicken können; der Horizont, den es nicht mehr gibt, verschüttet unter dem Dunkel des Meeres. Das Feuerschiff - nach der Erzählung von Siegfried Lenz - steht historisch für eine Art Leuchtturm, das in schwierigen Gewässern anderen Seefahrern Orientierung geben soll (absolut gute Bühnenvideos: Phillip Hohenwarter).

Im Kammersaal des Deutschen Theaters steht Kapitän Freytag (eindringlich und in der Psychologie stimmig gespielt von Ulrich Matthes) aufrecht zu allen Paragraphen des Seerechts. Keine Frage, dass er Dr. Caspary (überzeugend gibt Hans Löw das abgezockte Ekel) und dessen Handlanger (gut ausgestaltet von Owen Peter Read) aufnimmt, als diese das Feuerschiff als scheinbar Schiffbrüchige erreichen.

Doch ist alles so, wie es sich zunächst darstellt? Der Mensch ist nicht immer gut, schon gar nicht auf See, unbeobachtet von den Augen der Gesellschaft, die hinter der Fassade der Erzählung die Lüge des Erzählers herauslesen könnten. Caspary lügt, und das notorisch. Seinen Erfolg als Anwalt hat er sich ergaunert. Menschen unter Druck setzen zu seinem eigenen Vorteil, diese Masche hat er ausgeschlachtet, wie ein Mastschwein. Und so könnten die Charaktere zwischen dem Kapitän und dem Lügner, der es auf die Motoren des Feuerschiffs abgesehen hat, der seine Ziele notfalls mit Gewalt und Waffen durchsetzen will, nicht gegensätzlicher sein.

Fragen, die in unserer Zeit nach wie vor eine Rolle spielen, man denke an die so genannten „Boat People“, Flüchtlinge, die von Passiergierschiffen oder Frachtern aus ihren schwimmenden Nussschalen gerettet werden: Ein schmaler Grat zwischen Hilfeleistung und Grenzschutz, den was soll mit den Menschen passieren, wenn sie erst auf fremden Boden gesetzt werden?

Ein Konflikt um den Umgang mit der Grenzsituation entsteht zwischen Vater Freytag und seinem Sohn Fred (gibt dem Aufbegehren subtile Nuancen: Timo Weisschnur) an, denn der Vater will Besonnenheit, der Sohn hingegen Kampf: „Dass man durch Zurückweichen und Appeasementpolitik die Sachen auf längere Sicht auch schlimmer machen kann - das lässt sich aus der europäischen Geschichte lernen", resümiert das Deutsche Theater mit den Worten des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler.

Ein offenbar zeitrelevantes Thema, das Lenz einst beschrieben hat und das der Regisseur Josua Rösing nun auf die Bühne bringt. Rundum sehenswert, ganz ohne moralischen Zeigefinger.