Es stinkt zum Himmel
Wie am fast ausverkauften Konzerthaus zu ersehen, ging die Idee unter Marketingaspekten auf: man nehme einen Krimi-Bestseller über gemordete Jungfrauen, eine möglichst junge Sängerin, eine vorbestrafte Rezitatorin, ein 1A-Orchester mit einem Spitzendirigenten, welche die Musik zur Verfilmung des besagten Buches hinzumixen. Künstlerisch aber scheiterte das innovativ gemeinte Projekt der Live-Realisierung von Patrick Süskinds Das Parfum auf hohem Niveau.
Das von Film-Spezialist Frank Strobel geleitete, treffliche Rundfunk-Sinfonie Orchester Berlin interpretiert die Musik zu Tom Tykwers Verfilmung mit exzessiver Agogik. Die zwei oft solistischen Harfen, das breit gefächerte Schlagwerk und die Bassregionen der Orgel bilden mit der großen Streicher- und Bläserbesetzung einen exzellenten Klangteppich, vermögen aber bei aller sphärisch-dichten Versinnlichung beim Betrachter doch nicht das „Kino im Kopf“ zu erzeugen. Dies mag damit zusammenhängen, dass der Regisseur die Story im Film anders erzählt als der Autor in seinem Roman, und das beginnt bereits mit der Geburt des geruchlosen Negativhelden. Im Hinblick auf die von Gerrit Bogdahn zusammengestellten Film-Kompositionen von Reinhold Heil, Johnny Klimek und Tom Tykwer (!) hätte sich die Erzählung am Drehbuch orientieren müssen, aber die von Ulrich Wünschel und Steffen Georgi erfolgte „Lesefassung“ folgt Süskinds Original. Das irritiert die Filmmusik liebenden Cineasten, bestürzt ob der Verhackstückung die Süskind-Fans, und wer weder den Roman gelesen, noch den Film gesehen hat, vermag an diesem Abend der in vieler Hinsicht übel riechenden Geschichte nicht zu folgen. Elektroakustisch kräftig verstärkt, badet Iris Berben als Schauspielerin mit Krimi-Erfahrung in den sprachlichen Bildern von Unrat, Schmutz und Gestank, doch für die feineren Nuancen vermag sie nicht den richtigen Ton zu finden, verspricht sich oft und lautet inkonsequent. Dafür pustet sie vor der Pause lautstark ins Mikrofon, weil der Romanheld gerade ein Leben ausgelöscht und eine Kerze ausgeblasen hat. Korrelierende Lichteffekte, wie sie im Konzerthaus etwa bei Ulli Aumüllers Raumklanginstallationen zu erleben waren, erfolgen hier nicht. Auch nicht eine bei diesem Thema naheliegende olfaktorische Unterstützung, die auch im Musiktheater schon wiederholt eingesetzt wurde, etwa bei den (ebenfalls von Frank Strobel geleiteten) Aufführungen von Franz Schrekers Oper Flammen in Wien, Basel, Hamburg und Berlin in den späten Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Vielleicht aber befürchteten die Veranstalter sich dann einer allzu deutlichen Schleichwerbung für Iris Berbens Frauen-Parfum LR „in der Duftfamilie orientalisch würzig“ schuldig zu machen.
Als stellvertretende schöne Leiche für jene 25 jungen Mädchen, deren Körper, Haare und Kleidung dem Mörder zur Kreation seines Parfüm-Meisterwerks dienen, geistert Rinnat Moriah mit weit geschlitztem Kleid, aber unverständlichem Gesang und nicht immer durchdringender Stimmführung über die Ebenen des Bühnenbereiches. Im Publikum überwogen offensichtlich Berben-Fans, die auch jeden anderen Text aus dem Munde ihres Idols gefeiert hätten, wobei sie das hinreißende Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin offenbar als notwendiges Übel in Kauf nahmen.