Wege durchs Dunkel der Nacht
Er war einer der ganz Großen seiner Zeit, dessen Lyrik immensen Einfluss auf die Expressionisten hatte. Er regte zudem die Musiker an, seine Gedichte zu vertonen. So saugten bereits Koryphäen wie Max Reger und Hans Pfitzner, Arnold Schönberg und Kurt Weill Honig aus seiner Poesie. Die Rede ist von Richard Dehmel (1863-1910), für den Liebe, Erotik und Seelenwanderung zentrale Themen waren.
In Zürich kam der mittlerweile fast Vergessene nun gar zu späten Theater-Ehren. In ihrem Nachtstück, das die Hausherrin Barbara Frey mit dem Perkussionisten Fritz Hauser erarbeitete und als Uraufführung in die Box des „Schiffbaus“ des Schauspiels versetzte, geben Dehmel-Worte die Atmosphäre vor. „Die Nacht folgt keiner Logik“, ihr „Einbruch...ist der Absturz ins Unbewusste“, setzt das Autoren-Duo seinem „Projekt ohne Worte“ voran. Die Nacht als „Zeit der Einbildungen“, in der „jeder Laut bilderreicher, das Gewohnte sonderbarer“ wird - das sind Kernsätze dieses ungewöhnlichen Theaterabends.
Dunkel ist die Nacht. Vier Frauen, vier Männer bevölkern sie. Auf leisen Sohlen kommen sie herein, sind wie im Delirium, verschwinden wieder im Dunkel. Fremdheit ist Tenor, Vereinzelung Thema. Beziehungen geraten zu kurzen Schrecksekunden, Lächeln hellt das Dunkel nur selten auf. Sie kommen und gehen. Wie Träume, die so schnell gehen wie sie gekommen sind.
Da grüßt von ferne Peter Handkes Stunde, da wir nichts voneinander wussten. Und wenn sich einer der Männer eine der Frauen schnappt und sie unterm Arm davonträgt, erinnert man sich an Bildsequenzen von Pina Bausch. Wie überhaupt das Gegenüber, das nur kurze Miteinander und die folgende Trennung Themen des ebenso stillen wie ausdrucksstarken Abends sind. Fritz Hauser gibt dazu den Rhythmus vor: Dumpfe Trommeltöne, an Glocken gemahnende Takte und wenige engelsgleich zarte Töne.
Den somnambulen Szenen, die sich auf zwei Ebenen abspielen, meist auf der Spielfläche unten, aber auch auf einer höheren Ebene, abgehoben vom nächtlichen Alltag, stehen einige Szenen gegenüber, in denen albtraumartige Bilder die Oberhand gewinnen. Wie tumbe Käfer fallen da mal alle acht gleichzeitig auf den Rücken, die Beine strampelnd nach oben gestreckt. Hier grüßt auch noch Kafkas Gregor Samsa. Was bleibt, was tiefe Eindrücke vermittelt, sind die stehenden Bilder, die zu Tableaus von großer Dichte gerinnen.
Ein eindrucksvoller Theaterabend. Ohne Worte. Sie fehlen keine Sekunde angesichts der zahlreichen Szenen, die für sich selbst sprechen. Geradezu eine Wohltat in einer Zeit, in der sich Verbal-Diarrhö einer Seuche gleich breit macht.