Es war einmal - Ein Sultan befriedete den Orient
Seinen Nathan, 1783 uraufgeführt, versetzte Lessing nicht zufällig ins Jahr 1192. In das Jahr, in dem die letzte Schlacht des Dritten Kreuzzuges, die von Jaffa, zwischen Sultan Saladin und den Kreuzrittern unter Richard Löwenherz ausgefochten wurde. Zwar blieb den Kreuzfahrern die Herrschaft über Jerusalem versperrt, doch Saladin erlaubte es christlichen Pilgern, die Heilige Stadt zu betreten. So triumphierte Toleranz am Ende blutigster Schlachten. In einer Gegend der Welt, die über sieben Jahrhunderte später ein Pulverfass ist. Nicht zuletzt dank Fremdenhass und unversöhnlicher Religions-Krieger. Da bietet es sich an, wieder einmal bei Lessing nachzulesen. Daniela Löffner setzt auf ihn am Zürcher Schauspiel. Doch am Ende lässt auch Lessing ratlos zurück.
Sechs Gestalten, den ganzen Körper in tiefes Schwarz getaucht, neigen sich zu Boden, erheben sich, beten mit offenen Händen. Sie folgen den wimmernden Tönen eines Muezzins. Silberglänzende Partikel schweben von oben auf sie herab. Glanz des Himmels? Oder gar Asche? Erst wenn Nathan zur Ring-Parabel anhebt, fast privat zu erzählen beginnt, wird das Flimmern in der Luft enden. Wir sind im Jerusalem des muslimischen Herrschers Saladin. Die Welt ist nackt und leer, die Bühne ein schwarzes Loch. Einige Stühle an den Brandmauern im Halbdunkel sind nichts als Rückzugsorte für die nicht agierenden Personen.
Aus dem beeindruckenden Anfangs-Ritual springt die Inszenierung recht unvermittelt in Lessings Welt. Sascha, Rechas Erzieher, mit Zigarette im Mund und giftgrünem Outfit, bringt den banalen Alltag auf die Bühne. Auch die christlich getaufte Recha, von Nathan als Findelkind wie seine eigene Tochter angenommen, aufgezogen und vergöttert, verliert sich in dieser leeren Welt. Aus Feuer durch einen Tempelherrn gerettet, trägt sie, bis zum bitteren Ende, ein von den Flammen leicht versenktes Kleidchen.
Seine Mühe mit dieser Welt hat auch der junge Tempelherr. Von Saladin begnadigt, weil er ihn an dessen geliebten toten Bruder erinnert, weiß er, bekleidet mit einem beigen (Nato-?)Kampfanzug, nichts rechtes mit sich anzufangen. Bei Liegestützen und Fitness-Übungen langweilt er sich. Es dauert, ehe Lessings Stück und die Inszenierung Profil gewinnen.
Dann endlich, nach einem müden „Großer Gott, wir loben Dich“-Gesang, wird es spannend. Es ist die Ringparabel, die die Wende bringt. Grandios, wie Robert Hunger-Bühler als Nathan eine der packendsten Parabeln der deutschsprachigen Literatur zum Sprechen bringt, sie zerpflückt, ihr nachsinnt und schließlich als großes Toleranz-Edikt begeistert zelebriert. Mit Pausen und Denkansätzen, zögerlich und am Ende voll mitreißender Verve. Da wächst der zuvor immer leicht nach vorne geneigte Jude zum geistigen Sieger. Demgegenüber gerät der Patriarch zum lächerlichen Popanz, der das „Original“ für die Christen beansprucht, während Saladin als weiser Herrscher das Weite sucht.
Wie die Geschichte ausgeht, in welche Richtung sich Nathans und damit unsere heutige Welt entwickeln werden, weiß das Theater der Daniela Löffner ebenso wenig wie die aktuelle Politik. Das Schlussbild im Pfauen entlässt die Personen, nun ganz in sich gekehrt, nach und nach in die unterschiedlichsten Richtungen. Ein gemeinsames Ziel ist nicht zu erkennen. Auch das kann Theater sein: ehrlich.
Langer und intensiver Applaus für Regie und das neunköpfige Ensemble.