Die Erfindung der Roten Armee Fraktion im Schaubühne Berlin

Suppe mit Einlage

Es ist ein Stoff wie maßgeschneidert für die Berliner Schaubühne. Jenem Haus, an dem die Inszenierungen nach wie vor mit großen Lettern über dem Eingang angekündigt werden, so wie in der guten alten Zeit, als die Menschen Botschaften annahmen als Essenz des Wahren, die sie in der Kunst zu finden glaubten.

Erwachsen werden nach dem Krieg und seine eigene Wirklichkeit auf das drauf setzen, was Papi verbockt hat - reflektiert aus der Perspektive eines jungen Mannes nach 68: Davon handelt Frank Witzels Achthundertirgendetwas-Seiten-Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969, der im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

War die Wirklichkeit wirklich so, oder glauben wir nur, dass sie so war? Inhaltlicher Kern der nun Premiere feiernden Inszenierung von Armin Petras zum Thema „RAF“ (Rote Armee Fraktion) und dem Zeitgeist vor und hinter der versuchten Revolution.

Markig angeschlagen über dem Portal der Schaubühne waren allerdings nur die vier Buchstaben FIND - das klingt irgendwie nach Propaganda und dem, wo gegen die 68er-Generation aufbegehren wollte: Einfache Wahrheiten und noch einfachere Lösungen!

Aber kommen wir doch zurück zum Stück, auf das ältere Zuschauer im Vorfeld der Vorstellung  mit Gratis-Ohrstöpseln vorbereitet wurden: „Es wird laut”, erklärt eine Dame einem verdutzten Herren, der 1969 wahrscheinlich 20 war und die Ohrstöpsel widerwillig annimmt. Ja, die Verwirrung scheint groß im Heute, wie der Dialog zwischen den Generationen herzustellen ist; anders ist das Verteilen von Ohrstöpseln im Theaterfoyer wohl nicht zu erklären. Im Inneren spielt dann eine schrabbelnde Band auf, die als Schülerband in keine Aula rein gekommen wäre. Aber irgendwie haben sie es nach Berlin geschafft - sinnigerweise nennen sie sich „Die Nerven”, machen Indie-Pop und sind aus Stuttgart importiert. Hoppla, da darf nun auch schon länger Armin Petras wirken, der die Co-Produktion zwischen Ländle und Hauptstadt auf die Bretter gebracht hat. Und ja klar, er hat es mal wieder gut gemacht, der Star-Regisseur Petras mit bewiesener Einschrumpf-Durchsetzungskraft beim Thema Text. Achthundert Seiten auf gut zwei Stunden Spielzeit einzudampfen (zusammen gemacht hat er dies mit Maja Zade, die bei der Inszenierung als zweite Dramaturgin neben Katrin Spira in Erscheinung tritt) und dabei irgendwie ein bisschen Sinn rein zu kriegen, in diese Rote-Armee-Suppe, das ist schon eine Leistung! Wäre er eine Frau, hätte dem in Jeansjacke auftretenden Petras wohl irgend ein männlicher Fan rote Rosen auf die Bühne geworfen: Aber so weit sind wir noch nicht mit der Emanzipation. Nicht mal in Berlin!

Das Bühnenbild überzeugt als intelligenter Hallraum, den gespenstisch anmutende Schaufensterpuppen, jeweils Stellvertreter eines gesellschaftlichen Stereotyps (Bühne: Katrin Brack), aufziehen. Dort hinein stiefeln die fünf Schauspieler, die wechselnde Rollen übernehmen (Julia Böwe und Peter René Lüdicke teilweise als verunsicherte Eltern; Julischka Eichel gibt unter anderem eine irre Pflege-Schwester in der Vorstellung des depressiven Teenagers und Tilman Strauß und Paul Grill verleihen dem Protagonisten innere Spannung, so dass dessen Träume zur RAF überzeugen und die Figurenzeichnungen der RAF-Mitglieder überlappen). In den Traumsequenzen wird agiert, gedacht, gezweifelt, geschrien und gepoltert, ganz so wie das damals war oder gewesen sein könnte, als junge Menschen in etwas gerieten, was sie selbst verursachten, aber vielleicht gar nicht wollten?

Diese Frage wirft das fragmentarische Konglomerat aus Charakterzeichnungen und Zeitgeschichte jedenfalls auf, das in der Gestalt von Wortfetzen, situativen Beschreibungen und Zitaten aus der realen Geschichte daher kommt. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass in der hastigen Zeitreise dann doch einiges verloren zu gehen scheint von dem, was Motivation und Ideologie derer war, die mit der Republik haderten und diese verändern wollten. 

Das ist dann zwar mehr, als eine Rote-Armee-Suppe mit Einlage, aber halt auch kein Hauptgericht mit Beilage und abrundender Soße.