Große Lyrik in grelle Farben getaucht
„Wer hat Angst...“,nein, nicht „vor Virginia Woolf“, sondern „vor Hugo Wolf“? Sicher hat Regie-Berserker Herbert Fritsch auf Edward Albees Virginia-Drama geschielt, als er den Titel für ein eigenes Stück erfand. Doch Angst hätte er vor ihr sicher so wenig wie vor dem österreichischen Spätromantiker Hugo Wolf (1860-1903), dem er, mit der Uraufführung seines Liederabends am Zürcher Schauspiel, ein farbenreiches Denkmal setzt.
Verschmelzung von Poesie und Musik
Goethe und Mörike, Eichendorff und Heine, ja sogar Michelangelo: Keiner der großen Lyriker war sicher vor Wolfs Zugriff. Dabei lag für ihn „etwas Grausames in der innigen Verschmelzung von Poesie und Musik“. „Die Musik hat“, so Wolf weiter, „etwas Vampyrartiges an sich“. Da fehlte bislang wohl ein Mann wie Herbert Fritsch, für den „Theater immer Oper“ ist, sich ans Vampir-Werk zu machen. Dazu griff er auch nach dem 1966 entstandenen umstrittenen Bild „Who's afraid of red, yellow and blue“ des Amerikaners Barnett Newman.
Die Grundfarben und die Poesie
Fritsch stellte sich die Frage, was passieren könnte, „wenn die Visualisierung der drei Grundfarben auf Lied-Kompositionen von Hugo Wolf zu den Dichtungen Eichendorffs, Mörikes und Goethes trifft“. Was dann auf der Bühne des „Pfauen“ wirklich passiert, ist eine Orgie in Farben und eine wild-rasante Interpretation Wolfscher Kompositionen. Mit grellen Mitteln der Revue, des Cabarets und der Groteske.
Barett Newmans Bild beherrscht die Szene
Barett Newmans Farben Rot, Gelb und Blau beherrschen die Bühne, begleitet von einer kongenialen Lichtregie. Fritsch selbst hat dazu drei riesige Farb-Blöcke entworfen, die sich fast permanent bewegen und umkreisen. Ob das glorreiche Darstellerinnen-Septett, das mit seinen Kostümen die Farbsymphonie glanzvoll aufgreift, die Blöcke in Schwingung bringt oder die Drehbühne den Farb-Wirbel verursacht: 90 Minuten lang sind es Newmans Grundfarben, die dem Abend seinen grellen Charme verleihen.
Eine Schau zwischen Cabaret und Poesie
Wer wirklich einen „Liederabend“ erwartet haben sollte, lag natürlich daneben. Fritsch schneidert aus der Mixtur von Gedichten ohne Musik mit Wolfs Vertonungen lyrischer Ergüsse eine Schau ganz eigener Art. Zeigt sich doch das angekündigte Darstellerinnen-Septett zu Beginn noch als Männerriege, ausgestattet mit Oberlippen-Schnäuzer, identischen Perücken und Anzügen, alles in Schwarz. Wenig später dann die Erlösung: Aus der sich wild gebärdenden Showtruppe ist eine durchgehend blond eingefärbte Damenriege geworden. Wild und verrückt ist auch sie.
Spiel mit weiblichen Reizen
Ob sie nun versuchen, in Hugo Wolfs Musik-Welt einzutauchen und dabei Mörike und Uhland, Goethe und Lenau, Michelangelo und Heyses Italienisches Liederbuch auf ganz eigene Art für die Bühne zu gewinnen: Sie spielen mit ihren Reizen, sind tänzerisch und pantomimisch ständig in Bewegung, verjazzen so manche Lyrik und sind meist gar nicht romantisch oder im Wolfschen Sinne spätromantisch. Ironisch und köstlich begleitet von Carsten Meyer am Piano.
Michelangelo als dramatischer Höhepunkt
Michelangelos poetisch besungene Erkenntnis, dass „Alles endet, was entstehet. Alles, alles rings vergehet“, wird schließlich zur grellen Schrei-Orgie an einem Abend, der das Publikum zu wahren Jubelstürmen hinriss.