Übrigens …

Schiff der Träume im Haus der Berliner Festspiele

Requiem – in doppelter Hinsicht

Die am 5. Dezember 2015 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg zur Uraufführung gebrachte Bühnenfassung macht aus der feinen Reisegesellschaft kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges die heutige Reise eines Privatorchesters auf dem Ozeandampfer. Es geht nicht um die Seebestattung der Asche der verstorbenen größten Operndiva, sondern um die eines Orchesterleiters, dessen letzter Wille es war, auf hoher See die letzte Fassung seiner Kantate über die Menschenrechte zur Aufführung zu bringen. So besteht die kuriose Reisegruppe auch nicht aus berühmten Opernsängern, Opern-Intendanten, Dirigenten und Verehrern, sondern ausschließlich aus den Orchestermusikern. Anstelle der Aufnahme serbischer Bürger, die in kleinen Booten Richtung Europa fliehen wollten, sind es Schwarzafrikaner.

Regisseurin Karin Beier zitiert mit Marthaler-SchauspielerInnen Momente der musikbetonten Inszenierungen des Schweizer Regisseurs. Was die DarstellerInnen Julia Wieninger (singend und am Cello), Michael Wittenborn (als debiler Klarinettist), Kathrin Wehlisch (als im ersten Teil zumeist barbusige Violinistin), Jens Ostendorf (als Schlagzeuger mit Schwimmflossen und Wasserspritz-Schnorchel, sowie als Sänger im roten Abendkleid), Bettina Stucky (als Querflötistin), York Dippe (als Bassklarinettist), Rosemary Hardy (als britische Sopranistin) und Josefine Israel (mit Klangstäben) unter der musikalischen Leitung von Charly Hübner als selbstgefälligem Dirigenten-Ersatz (und Triangelspieler) musikalisch leisten, ist absolut großartig. Bei der Probe der Aufführung der fiktiven Human Rights No. 4 ihres verstorbenen Dirigenten Wolfgang werden sie orchestral verstärkt durch vier veritable (Nur-)Instrumentalisten (den Cellisten Ruben Jeyasundar, den Trompeter Michael Leuschner, die Violinistin Maurice Mustatea und die Schlagzeugerin Yuko Suzuki).

Unbeabsichtigt und zu früh ergießt sich der Inhalt der Urne mit Slapstick und Wortwitz („Ich mach mich mal aus der Asche“), dann kapern dunkelhäutige Flüchtlinge das Schiff – vertreten durch fünf Profis, Performance-Künstler, die schon lange in Deutschland leben und auf André Hellers Revue Afrika! Afrika verweisen: Gotta Depri, Patrick Joseph, Ibrahima Sanogo, Michael Sengazi und Sayouba Sigué, spielen jene Flüchtlinge, durch welche die Orchestergesellschaft dreist, laut und offensiv vom Ober- aufs Unterdeck vertrieben wird und die dann gut die Hälfte des dreieinhalbstündigen Abends dominieren. Mit Wort- und Situationswitz versetzen sie nicht nur die Akteure auf der Bühne, deren betonte Menschenfreundlichkeit Gedanken der Besitzstandswahrung weicht, sondern auch das Publikum in Unsicherheit.
Einziges Mittel zur Überbrückung der hier aufgezeigten Verständnisgegensätze scheint der Kulturen übergreifende Tanz zu sein – aber wer weiß...

Das Premierenpublikum feierte den Eröffnungsabend des diesjährigen Berliner Theatertreffens, der durch die der Aufführung vorangehenden Ansprachen des Festspielintendanten Thomas Oberender und der Bundeskulturministerin Monika Grütters zusätzlich bis in die Mitternachtsstunde verlängert wurde.