Übrigens …

Ein Volksfeind im Berlin

Talkshowspektakel mit Wahlmodus fürs Publikum

In Stefan Puchers Inszenierung sind per Handy geführte Fracking-Diskussionen der Handlungsträger in Großprojektionen zu verfolgen. Wenn die Protagonisten nicht gerade der Party frönen oder Online-Petitionen unterzeichnen, treiben sie Fitness mit der Pop-Ikone einer künstlichen Intelligenz (Becky Lee Walters). Dr. Stockmanns Gegenspieler, sein eigener Bruder Peter (Robert Hunger-Bühler) ist „Stadtvorsteher und Polizeichef, Vorsitzender der Kurverwaltung usw“ (so die neue Rollenbeschreibung auf dem Besetzungszettel).Enthüllungsredakteur Hovstad ist weiblich geworden und arbeitet als Bloggerin (Tabea Bettin) fürs Demokratie-Portal „DEMOnline“. 

Die radikale Bearbeitung betrifft nicht nur die Bildwelt, sondern auch Sprache und Handlungsablauf. Wechselseitig werden auf Bühne und Foyerwand die Aktionen live übertragen. Das ist zunächst witzig und konsequent – aber es reicht nicht aus für einen ganzen Abend.

Offenbar hatte sich das nach der Premiere am Abend zuvor unter dem Berliner Publikum schnell herumgesprochen, denn selten sonst werden beim Theatertreffen so viele Eintrittskarten wie hier, vor Beginn der zweiten Vorstellung, angeboten und – wenn überhaupt – zu Dumpingpreisen an späte Interessenten abgegeben.

Köstlich die Spontaneität, mit der Markus Scheumann in der Titelpartie einem Zuschauer-Paar, das bereits wenige Minuten nach Beginn das Theater verlässt, nachruft: „Kommen Sie wieder?“ und dann konstatiert, „Ja, das sind die Wahrheiten, die will man nicht hören“.

Deutlich weniger schlagfertig verhalten sich die Darsteller (und die von diesen angesprochenen einzelnen Besucher), als sich im zweiten Teil knapp die Hälfte des Publikums einem Aufruf von Aslaksen (Matthias Neukirch), hier „Softwareunternehmer“ folgt und eine parallele Gegenveranstaltung im Foyer – mit kostenlosen grünen, nach nichts schmeckenden Wellness-Drinks aber ohne die zuvor auf Großbildprojektionen vorgeführten veganen Häppchen. Auch mithilfe des Assistenzbloggers und Fact-Checkers Billing (Nicolas Rosat) gelingt es nicht, aus dem ins Foyer gelockten Publikumsteil eine eingeschworene Gemeinschaft zu bilden, und man kehrt zurück ins Auditorium des Hauses der Festspiele, wo der sozial geächtete Arzt in doppelter Hinsicht den Boden unter den Füßen verloren und seine Gegner nur noch als „Arschlöcher“ beschimpft hat.

Dann erfolgt der Shitstorm von Stockmanns Mitbewohnern. Und da die Aktien über Nacht gefallen sind, setzt sein Schwiegervater (Siggi Schwientek) als Venture-Kapitalgeber, entgegen seiner ursprünglichen Überzeugung, auf den großen Reibach.

Leider wirkt das Spiel häufig gestelzt und das multiple Einreden auf das Publikum erinnert an ein arg antiquiertes Rampentheater. Eines jedoch beweist die Aufführung: die ungebrochene Aktualität von Henrik Ibsens Schauspiel.