Die Zauberflöte im http://www.konzerthaus.de

Volkstheater im Konzerthaus

Iván Fischers diesjähriges „Lieblingsprojekt“ beginnt mit einem alten Zirkustrick: bevor der Dirigent zur Ouvertüre anhebt, lässt er das Licht im Saal noch einmal anschalten um zusätzliche Darsteller für die Dialoge aus dem Publikum zu rekrutieren. Dabei charakterisiert er die Rollen etwa als „Dame mit temperamentvoller Ausstrahlung, darf leicht hysterisch sein“. Unter jenen, die sich zaghaft melden, trifft der Dirigent seine Wahl und schickt diese während der Ouvertüre zum Kostümieren auf die Bühne. Natürlich waren es die auf den freien Plätzen des Großen Konzerthaus-Saals verteilten Schauspieler dieser Produktion.

Bereits die Ouvertüre nimmt Iván Fischer, der selbst für „Regie und Leitung“ verantwortlich zeichnet, jeglicher Philosophie entkleidet, als beschwingte Einleitung zu einem Volkstheaterspektakel.

Es ist schön, dass das Berliner Konzerthaus immer wieder an seine Wurzeln als Bühne anknüpft, wo etwa E. T. A. Hoffmanns Undine uraufgeführt wurde. Im Sinne der dem Publikum näheren Spielstätte passte auch Mozarts Zauberflöte mit Schinkels berühmten Prospekt für die Königin der Nacht auf die kleinere der beiden königlichen Bühnen. Was damals als Kulisse aufwändig von Malern künstlerisch umgesetzt werden musste, lässt sich heute kurzerhand projizieren. Die Ausstattung (ein Einlegzettel im Programmheft ergänzt die Namen Margit Balla für Bühne und Illustrationen, Ágnes Kuthy und Viktória Makra für Schattentechnik) illustriert die Handlung als ein kindliches Bilderbuch mit Sonne, Mond und Sternen und den auf drei Wolken verlagerten Wunschvorstellungen der drei Damen, Tamino zu besitzen.

Dilettantisch wirkt Györgyi Szakács’ Kostümierung der Darsteller in farbintensiven Fummeln, nur die Isis- und Osiris-Priester sind katholisch schwarz gewandet.

Als „gütige Götter“ tappen die angesichts des fürs Konzerthaus ungewöhnlich frühen Beginns eine Stunde zu spät eintreffenden Besucher in den Saal.

Die hier gewählte Praxis, Gesangsnummern und Dialoge besetzungstechnisch zu splitten, geht zurück auf jene Vorgehensweise der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, die den Sängerdarstellern die Bewältigung von Dialogtexten durch die Bank absprachen, aber für Produktionen auf LP und im Fernsehen genügend Geld besaßen, die Partien doppelt zu vergeben. Die Riege der SchauspielerInnen im Konzerthaus (Katharina Behrens, Stella Denis-Winkler, Lisa Marie Becker, Otto Strecker, Johann Fohl und Maximilian Held) verkörpert zum Teil mehrere Rollen; und die drei Sklaven – singen sogar.

Das Spiel mit Schattenrissen in den Tempel-Szenen, die Ästhetik der hereingefahrenen Versatzstücke und Bilderbuchillustrationen sowie der antiquierte Umgang mit Dialogen, die kaum gekürzt, aber häufig dem Berliner Jargon angepasst sind, machen den extremen Abstand dieser Realisierung zur Erfolgsproduktion in der nahe gelegenen Komischen Oper deutlich – dort unter völligem Verzicht auf Dialoge und mit perfekter Verknüpfung von Darstellung und Animationsfilm.

Gesungen wird großenteils akzeptabel, trefflich von Hanno Müller-Brachmann als Papageno, Krisztián Cser als Sarastro und Peter Harvey als Sprecher, gut von Bernard Richter als Tamino und Mandy Fredrich als Königin der Nacht, textunverständlich, wenngleich mit markigen Tönen von Valentina Nafornita als Pamina, inakzeptabel von Rodolphe Briand als Monostatos. Drei Knaben vom Kinderchor der Ungarischen Staatsoper machen ihre Sache ordentlich – auch wenn wir hierzulande in Mozarts Zauberflöte bessere Knabensolisten gewohnt sind.

Originell ist es hingegen, wie sich der Dirigent selbst ins Spiel einbringt und mit dem sehr klein besetzten Konzerthausorchester Berlin – mit vier ersten, drei zweiten Violinen, zwei Bratschen – Mozarts Partitur umsetzt. Bei den Szenen im Weisheitstempel spielen die Bläser hinter der Szene, und gegen Ende des zweiten Aktes schleichen sich auch die Streicher gebückt aus dem vor der Guckkastenbühne errichteten Orchestergraben. Für die Schlussszene hebt sich die Projektionswand, und das Orchester sitzt auf der Bühne. Hier löst sich Fischers Begriffsprägung als „szenisches Konzert“ ein. Die Zuschauer blicken nun auf die Architektur des Konzerthauses. Im Finale umarmen Solisten und Choristen (A la carte Choir) die noch spielenden Instrumentalisten. Während das Orchester die letzten Takte im Stehen spielt, bekommen die Sänger bereits Blumen überreicht und formieren sich zum Schlussapplaus.

Die Produktion knüpft an ein Volkstheater an, wie es – allerdings ungleich virtuoser – in Milos Formans Film „Amadeus“ in der auch vom Komponisten begeistert rezipierten „Don Giovanni“-Parodie gipfelt.

Das Familienpublikum im Konzerthaus zeigte sich begeistert.