Übrigens …

Borgen im Schaubühne Berlin

Von Spinnern und Spinnern

Ein Spindoktor hat viel zu tun: Er dreht die Wahrheit in die jeweils passende Richtung! Dabei kommt dann heraus, dass derjenige, der im Besitz der politischen Macht ist, ziemlich viel richtig macht - und möglichst wenig in den Sand setzt. Ein Spindoktor zieht die Strippen im Hintergrund der Macht!

Weil die Weltläufe so kompliziert sind, nimmt der Spindoktor sie mit einfachen Formeln in den Würgegriff. Die Waffen eines Spindoktors sind: verkürzen, einseifen, den Gegner kontrollieren. Geile, durchgeknallte Typen sind diese Spindocs - so auch an der Schaubühne, als das Stück Borgen, das eine der erfolgreichsten TV-Serien der letzten Zeit adaptiert, aufgeführt wurde. Tilman Strauß gibt den Spindoc der dänischen Premierministerin Birgitte Nyborg so überzeugend, dass es verwunderlich ist, dass er noch nicht ins nur ein paar Kilometer entfernte Berliner Regierungsviertel abgewandert ist.

Die manipulierte und damit gut steuerbare Konstruktion der Wirklichkeit in Borgen (die dänische Serie lief von 2010 bis 2013) ist auf der Berliner Bühne ein dichtes Gewimmere aus Flüchtlingsströmen, medialer Aufbereitung politischer Inszenierungen und Herzschmerz – denn sie leiden, die Charaktere, am Sein inmitten der Verantwortung.

Die Heldin Birgitte Nyborg (gespielt von Stephanie Eidt, die extrem überzeugend die Bandbreite zwischen politischer Kommunikation und eigener Zerrissenheit schraffiert) ist der Prototyp der erfolgreichen Frau: An ihren eigenen Grundsätzen bleibt sie immer wieder hängen und kommt ins Straucheln. Da ist die idealistische Politikerin, die plötzlich merkt, dass es ohne ihren Spindoc nicht geht; die mit Knopf im Ohr politische Reden hält und die Wahrheit strapazieren muss, damit sie sich durchsetzt. Da ist die geforderte Ehefrau, deren Kinder Problemchen haben und deren Ehemann plötzlich Karriere machen will. Der (gespielt von Sebastian Rudolph als giftzwergelnder Möchtegern-Macho im Softie-Outfit) macht Birgitte das Leben nicht nur einfach, wenn er allen Ernstes der mächtigsten Frau im Land Vorhaltungen über Zuspätkommen ins traute Heim macht. Dann kommen zwischen all der pointierten Polit-Kommunikation die emotionalen Elemente hoch, die in der ursprünglichen TV-Serie größeren Raum haben – der Gap zwischen öffentlichem und privatem Menschen wird so offensichtlich und wirkt damit verstörend.

Wie authentisch kann jemand sein, der eben nur das sagen darf, was ihm nützt? Diese Frage steht immer wieder im Mittelpunkt von Borgen. Regisseur Nicolas Stemann hat sich hierfür das stilistische Mittel des Teleprompters ausgedacht. Von einem dieser Dinger im Hintergrund der Zuschauerreihen lesen die Schauspieler weite Teile des Textes ab, und an ihn treten die Darsteller auf der Bühne heran, wenn der Text nochmals gespiegelt wird. Die Rhetorik ihres Lebens starren sie mit staunenden Augen an.

Da kann auch die unbestechliche Journalistin (gespielt von Regine Zimmermann zwischen hysterisch, traurig und überfordert), die immer wieder mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Absurditäten eines überdrehten politischen Betriebs zeigt, nichts mehr retten - sie wird kurzerhand in den Urlaub geschickt, wenn sie sich an einen der Deals zwischen Medien und Politik nicht hält.

Die eindeutig zu lange Inszenierung an der Schaubühne warf die Frage auf, wer die wirklichen Spinner sind: Die Spindocs, die manipulieren, oder wir alle, die Bürger, die wir die platte Kommunikation, die uns geboten wird, klaglos hinnehmen.

Am Ende von Borgen jedenfalls fiel nicht der Schuss, der die Revolution ausrief, sondern lediglich der Groschen im Kopf, wie Politik wohl funktionieren könnte - und damit das Warten auf die nächste Staffel der beliebten TV-Serie.