Ein Bild der Selbstzerstörung
Mit der großen Versöhnungszeremonie, wenn alles gut wird, Papa seinen Sohn vor dem Opfertod verschont hat und alle glücklich sein werden, hat Regisseur Ingo Kerkhof in seiner Idomeneo - Sicht am Mannheimer Nationaltheater nichts im Sinn. Denn zum Auftakt des dortigen Mozartsommers zeigt eine Mozart-Oper, deren aus dem Barock übernommenes, an Potentaten gerichtetes, hoffnungsvolles Klischee vom letztlich gütigen und Vernunftgründen zugänglichem Herrscher nichts taugt. Denn dieser Idomeneo ist verstört, wähnt sich noch im Krieg, kommt nicht aus seiner vom Blut durchtränkten Kluft heraus: Untauglich fürs Leben, untauglich für den Frieden, untauglich gegenüber Volk und Familie. Oder ist alles ein Traum, wenn am Ende Tote herumliegen und Papierschiffchen brennen?
Das triste Grau der von Dirk Becker als schäbige Behausung angerichteten Bühne und die mehr Schmerz als Freude suggerierenden Kostüme von Inge Medert geben die passende Grundierung für eine Weltsicht, die wie vom gegenwärtigen Elend internationaler Krisen und Katastrophen inspiriert sind. Das wäre alles stimmig und einsichtig, würde nicht Mozart im chorischen Schlussjubel eine konträre Musik dazu geschrieben haben. Allerdings: Die Brechung der Opernkonvention durch die Regie zeigt, dass sich die Deutungshoheit auch an zeitbedingten Umständen messen lassen muss.
Dem folgt auch der scheidende Generalmusikdirektor Dan Ettinger, der mit dem glänzend spielenden Nationaltheater-Orchester Akzente setzt und wie mit einer Blaupause die seelischen Regungen der Figuren durchzeichnet. Schade, dass er geht, aber neuer GMD, neues Glück. Gesungen wird überwiegend prächtig. Die Verzweiflungsarie von Cornelia Ptassek als verzweifelter Elettra, die von Idamante lassen muss, gehört zu den Glanzpunkten des Abends. Sehr schön auch Eunju Kwon in der anspruchsvollen Partie der Prinzessin Ilia, denn sie singt mit vielen Ausdrucksfacetten das seelische Hin und Her dieser Figur. Die Titelpartie ist bei Mirko Roschkowski gut aufgehoben, in Stimme und Spiel spiegeln sich die möglicherweise pathologischen Züge des Idomeneo. Sohnemann Idamante hat in Juhan Tralla einen ausgezeichneten Heldentenor, während James Elliott den Königs-Vertrauten Arbace mit suggestiven Zügen ausstattet. David Lee hat abgründige Nuancen für den Oberpriester parat, und ganz ausgezeichnet singt der Chor unter Bühnen-Leitung von Francesco Damiani: ein Volk jubelt dem König und seinem Nachfolger zu, aber der Jubel scheint Maske auch des Misstrauens.
Das Premieren-Publikum goutiert diese Mozart-Sichtung uneingeschränkt mit heftigem Beifall.
Am Abend später ziehen zwar einige dunkle Wolken auf, doch die szenische Stimmung hellt sich auf, wenn der Counter Bejun Mehta gemeinsam mit der Akademie für Alte Musik Berlin Arien von Mozart, Gluck und Johann Christian Bach in einen Kontext von exzellentem Ausdruck, sängerischem Schliff und überlegener Gestaltung stellt. Ein Meister seines Fachs.