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Staatsoperette - Die Austrotragödie im Werkstattbühne der Bregenzer Festspiele

Austria steht Kopf

Im Jahre 1977 hatte eine TV-Oper in Österreich einen ungewöhnlichen und lange anhaltenden Skandal ausgelöst. Die Jahre 1919 bis 1938 in Österreich, vordem offenbar ein Tabuthema, wurden vom Komponisten Otto M. Zykan in Form einer Offenbachiade präsentiert. Den um einige zu anstößige Szenen geschnittenen und nur verkürzt ausgestrahlten Fernsehfilm Staatsoperette von Regisseur Franz Novotny bezeichnete ein Bischof damals als „Angriff auf die religiösen Überzeugungen von Millionen Österreichern“.

Entsprechend lange sollte es dauern, bis die bereits in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts geplante Bühnenaufführung zustande kam. Realisiert haben sie nun die Bregenzer Festspiele, gemeinsam mit der Neuen Oper Wien.

Nach dem Tod des Komponisten waren Teile seiner Partitur nicht mehr auffindbar. Daher rekonstruierte Michael Mautner das Material, ergänzte es durch andere, thematisch verwandte Kompositionen Zykans und Ergänzungen, die dieser für eine im Jahr 2000 in St. Pölten aufgeführte Konzertversion vorgenommen hatte. Insbesondere aber reduzierte er bei der TV-Version von einem achtzigköpfigen Orchester interpretierte Partitur zu einer Kammerversion für das Amadeus Ensemble Wien. Dank rascher Wechseln der Reed-Spieler zwischen Klarinetten und Saxophonen sorgt Mautners Instrumentierung für einen auch zwischen Holz und Blech breit aufgefächerten Klang. Bei den nur zwei Schlagzeugern fehlt nicht das für Zykan typische Xylorimba, eine Kombination von Xylo- und Marimbaphon.

Das von Mautner neu adaptierte Drittel erweitert das Spektrum von Zykans durchwegs tonaler Komposition, die der Komponist selbst klassifizierte als „Das Publikum soll glauben, die Musik sei gestohlen!“. Das gemahnt den Hörer an Eisler und Weill und an Brechts Lehrstücke und führt nunmehr „Die Austrotragödie“ als Untertitel.

Die Bühnenversion auf der Werkstattbühne der Bregenzer Festspiele ist vorzüglich geraten, getragen vom begeisterungsfördernden Dirigenten Walter Kobéra, der es versteht, das sich zwischen Kampflied und Operettenseligkeit bewegende, mit Zitaten aus Volks- und Kunstliedern, aus Lehár und Wagner vermischte Kompositum zur Einheit zu formen.

Etwas altbacken erscheint der vom Bearbeiter hinzugefügte Aufhänger, die Historie in gesprochenen und gesungenen Dialogen an zwei Frauen, einer Linken (Laura Schneiderhan) und einer Rechten (Barbara Pöltl), als deren persönliche Erlebnisse und Schicksale fest zu machen. Partiell basieren deren Partien auf melodramatischen „Räsonierszenen“, die Zykan für die TV-Fassung ursprünglich selbst kommentierend beitragen wollte.

In einer dem Kopf stehenden, roten Salondekoration von Heike Mirbach hat Simon Meusburger eine durchaus stimmige, dem Fluss von Musik und Handlung rasant folgende Inszenierung geschaffen. Die satirische Sicht des Regisseurs auf die österreichischen Bürgerkriege linker und rechter Freischärlertruppen zwischen den beiden Weltkriegen erfolgt erfreulicherweise ohne Didaktik, trotz der Brechtschen Szenen–Überschriften, die als Video-Cartoons von Tina Lanner auf den durchsichtigen Zwischenvorhang einer Österreich-Flagge projiziert werden.

Coup der Inszenierung Meusbergers ist der Einsatz von großen Hand-Puppen für die herrschsüchtigen Figuren. Nikolaus Habjan hat sie unter Zuhilfenahme von Todesmasken-Abdrücken (so weit vorhanden) mit grotesker Überzeichnung gestaltet und den Solisten selbst einstudiert. Diese Muppets werden von den Sängerdarstellern gekonnt und lippensynchron zu deren Gesang bewegt. Dabei schlüpfen einige Hauptsolisten gleich in mehrere Partien: hinreißend singend Thomas Weinhappel als ein sich als Künstler gerierender Mussolini, Polizeipräsident und Starhemberg, Marco di Sapia als beinahe-NS-Kanzler Anton Rintelen, obendrein als Walter Pfrimer und Otto Bauer, und Hagen Matzeit, der die Puppe des Engelbert Dollfuß als Ganzfigur mit Füßen trägt und anschließend, ausschließlich durch tierisch wilde Geräusche kommunizierend, den Kopf des Adolf Hitler führt.

Beherzt singt und mit Witz agiert der von Michael Grohotolsky einstudierte Wiener Kammerchor, dessen Mitglieder auch weitere Rollen solistisch verkörpern.

Die Aussage der Staatsoperette, dass in dem bereits mit Ende des Ersten Weltkrieges beginnenden Austro-Faschismus sowohl die Rechten (der politische militante Katholizismus) als auch die Linken gemeinsam versagt hatten, indem sie den heraufziehenden Nationalsozialismus nicht verhinderten, vermittelt sich schlüssig. Erschreckend allerdings zugleich die Erkenntnis, dass nach dem Unrechtsregime der Jahre 1919 bis 1938, in denen vier Fünftel der Lehrerschaft gekündigt und die Todesstrafe eingeführt wurde, das totalitäre System und der Holocaust auch unter einem anderen Führer schwerlich hätten verhindert werden können.

Die Beschäftigung mit diesem Thema reißt in Österreich merklich alte Animositäten auf: bereits bei Olaf A. Schmitts Einführung hatte eine ältere Dame erbost etwas zu Boden geworfen und den Raum verlassen. Bei und nach der Aufführung gab es zwar keine lautstarken Proteste, aber persönliche Gespräche im Premierenpublikum und Stimmen bei TV-Interviews offenbarten durchaus überwunden geglaubte Haltungen.

Beim einhelligen Applaus nach der pausenlosen, zweiaktigen Uraufführung trugen Nachlassverwalterin Ireny Suchy und Bearbeiter Michael Mautner den Komponisten Otto M. Zykan als Pappfigur in ihrer Mitte.

Wieder einmal erweist sich Vorarlberg als ein nicht nur touristischer Anziehungspunkt.