P-I – Die Perner-Insel als Prosperos Insel
Der Übergang ist fließend: noch wird die Bühne von denen Spuren des in dieser Inszenierung oft aufwirbelnden Steinstaubs gewischt, da beginnt der Herr der Insel, Prospero, sein Werk. Das Meer braust auf in hohen Wellen, nicht nur auf einem extrem breiten Screen, sondern im ganzen, rechteckigen Raum des schmucklosen Gevierts, welches die Insel definiert.
Hierher lotst Prospero, der unrechtmäßig entthronte Herzog von Mailand die durch seinen zauberischen Einfluss auf die Naturkräfte zu Schiffbrüchigen gemachte Familie und Hofkamarilla der Usurpatoren, des Königs Alonso von Mailand (Branko Samarowski) und seines eigenen Bruders Antonio (Daniel Friedrich), aber auch den einzig Getreuen Gonzalo (Charles Brauer). Den von Alonso für ertrunkenen gehaltenen Sohn Ferdinand (Maximilian Pulst), der sich sofort in Prosperos Tochter Miranda (Sara Tamburini) verliebt, macht Zauberer Prospero ebenso zum willfährigen Spielball, wie die von ihm bezwungenen Naturgeister Ariel und Caliban.
Für den Luftgeist hat Regisseurin Deborah Warner ein Verfremdungsmittel angewandt, welches sich mehr als intellektuelle Spielerei erweist, denn als theaterprobates Mittel. Dickie Beau spielt Ariel als Jüngling in Bluejeans und mit der Aufschrift „Invisible“ auf seinem T-Shirt, während dem für Prospero nur durch einen Spiegel sichtbaren, für die Anderen unsichtbaren Geist zumeist Kolleg*innen ihr Stimmen leihen: Fiona Shaw im englischen Originaltext (auf Deutsch übertitelt), in deutscher Übersetzung Angela Winkler und einmal – ebenfalls als Einspielung – Peter Simonischek selbst.
Letzteres verweist darauf, dass Ariel nur ein Teil von Prospero selbst ist, den Peter Simonischek, zwei Tage vor seinem 70. Geburtstag, weise und mit Charisma, aber auch kraftvoll verkörpert, basierend aufgrund seiner langen Theatererfahrung und auf jener Zauberkraft der Bücher der Welt des Theaters – denn Prosperos Bücher sind es, die dem Verbannten in Shakespeares Vermächtniswerk die Macht zum Zaubern verleihen.
Ungleich wirkungsvoller als Ariel ist jene Kreatur umgesetzt, die – so erzählt die Vorgeschichte – der Teufel mit jener Hexe Sykorax gezeugt hat, die uns dann auch in Goethes Faust II begegnet: Caliban, nackt und blutig, im besten Wortsinne unflätig, wird durch Jens Harzer zu einem theatralen Erlebnis.
Ausstatter Christof Hetzer hat den leeren, schwarzen Bühnenraum mit einer hohen, äußeren Umgangsmöglichkeit für Prospero (und, nicht ganz logisch, am Ende auch für den Bootsmann, Wolfgang Seidenberg) und mit einigen in den Bühnenboden eingelassenen Spezialfelder für Steingeröll, Schlamm, Ruß und Feuer versehen. Von diesen Topoi macht die Regisseurin im ersten Teil gern und vielen Gebrauch, glücklicherweise nicht auch von Geruchstheater, wenn die Möchtegern-Herrscher Trinculo (Matthias Bundschuh als Parodie auf Konstantin Wecker) und Stephano (Matthias Riedelhammer) mit Caliban der Jauchegrube einsteigen und über Pferdepisse philosophieren.
Einsam schwebt eine kinetische weiße Wolke über dem Geschehen, und einmal ergießt sich aus ihr ein Salzburger Schnürlregen. Prosperos Insel, das ist die Bühne der Perner Insel in Hallein.
Die von Shakespeare dezidiert eingesetzte sphärische Musik hat Mel Mercier für Glasharmonikaklänge umgesetzt, mit Einspielungen auch für Gesang und Gitarre.
Das vorherrschende Schwarz-Weiß von Strand, Meer und Todesvögeln, für das fettFilm verantwortlich zeichnet, wird für das Maskenspiel im Spiel durchbrochen: den gesamten Bühnenraum umtanzt ein Maskenreigen als Negativ-Projektion, während auf dem Hauptscreen, teilweise als Animation, die Vision der Fürstenhochzeit von Miranda und Ferdinand läuft, mit dem Liebepaar im Wechsel von privater Nacktheit und staatlichem Ornament.
Viel zitierte Zeilen aus Shakespeares Spätwerk, wie „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind“, lassen ahnen, dass es sich bei der weitgehend auf Reime verzichtenden Textfassung für die Neuinszenierung um eine Kompilation handelt. Im Impressum wird Vera Neuroth als Übersetzerin angeführt, aber dieser Hinweis kann sich auch ausschließlich auf die Textbeiträge des Programmhefts beziehen.
Feministische Ansätze zeigt die Inszenierung der britischen Regisseurin, indem sie Ferdinand als willenlosen dummen Schönling zeichnet; Miranda spuckt auf den Zaubermantel ihres Vaters und die von Caliban fast vergewaltigte Hofdame Francesca (Saskia von Winterfeld) spuckt auf den rechtmäßigen Erben der Insel.
Rettungswesten der heutig gewandeten Hofgesellschaft spannen den Bogen zu gefahrvollen und oft tödlich endenden Seereisen unserer Zeit, den Flüchtlingskatastrophen.
Das Publikum im ausverkauften Auditorium folgte der zweiten Aufführung mit Spannung und geizte am Ende nicht mit Applaus und Bravorufen, insbesondere für Peter Simonischek und Jens Harzer.
Der mehr als dreistündige Abend im Schauspielhaus der Salzburger Festspiele, der Perner-Insel als Prosperos Insel, hat einige Längen. Aber er vermittelt die aktuell gebliebene Aussage, zu Herzen gehende menschliche Wahrheiten und die starke theatrale Kraft des vor 400 Jahren gestorbenen Jubilars. Gleichgültig, ob es sich dabei um die erste Factory der Literaturwelt oder um ein Pseudonym gehandelt hat: Shakespeare lebt!