Denial im Maxim Gorki Theater Berlin

Komik, die weh tut

Wer bin ich, woher komme ich? Fragen, die wir alle haben, stellt das Stück Denial von Yael Ronen und Ensemble seinen Helden auf den Brettern des Berliner Gorki-Theaters. Die tragisch-komische, episodenhafte Abfolge von Rückblenden und situativen Geschichten, meist aus dem Sumpf der Kindheit, packt.

„Denial“, das heißt zu Deutsch so viel wie Leugnen oder Verdrängen, und Regiestar Yael Ronen hat es geschafft, dieses schwere Thema denkbar bewegend zu inszenieren. Der schmale Grat zwischen Schmerz und Komik funktioniert, gerade, weil Ronen es versteht, die Grenzen zwischen Schauspiel und Realität immer wieder verschwinden zu lassen.

„Meine Kindheit ist ein schwarzes Loch“ ist einer dieser Sätze, der haften bleibt, wenn ein Charakter davon erzählt, dass er eine glückliche Jugend gehabt habe. Warum? „Ich habe nie geweint, nicht mal, als ich mich umbringen wollte!“ Das ist der halbironische Ton mit doppeltem Boden, den Ronen bei dieser Inszenierung stringent durchhält, ohne ins Beliebige abzurutschen.

Das Timing stimmt, wenn in kurzen Abfolgen die Geschichten erzählt werden, als redeten die Schauspieler nicht in den Raum, sondern mit sich selbst und allen Zuhörern, nicht zuletzt mit ihrer Angst und ihrer Wut. Dabei unterstützt die Untermalung mit Visuals und dem Abfilmen der Schauspieler, dem Rück- und Einblenden der Gesichter, die Intimität, denn die Geschichten werden nicht aufgeblasen, sondern reflektieren sich selbst, so dass die Verdrängungsmechanismen offenkundig werden (Bühnenbild: Magda Willi, Video: Hanna Slak).

Etwa als Dimitrij Schaad sich selbst nach dem Missbrauch seiner Kindheit befragt; da ist die Hand des Vaters, da ist eine Scheune, da ist der Mensch, der nicht glauben will und doch weiß, dass da etwas geschah. Eine kleine Katze: Ein Geschenk, das ins Gegenteil verkehrt wird, wenn der Vater der Katze vor den Augen des kleinen Jungen den Bauch aufschlitzt: „Dasselbe mache ich mit Dir, wenn Du erzählst, was wir hier machen!“

Hingegen ist es irgendwie witzig, wenn Cigdem Teke und Maryam Zaree als lesbisches Pärchen eine Reise in die Türkei planen: Zur Hochzeit der Cousine soll es gehen; dabei will eine groteske Geschichte helfen, dass nicht rauskommt, dass die beiden in Deutschland als Paar zusammenleben und sogar ein Kind haben. Die Freundin sei verwitwet, man sei befreundet - aber bei der Hochzeit soll die Türkin mit einem Freund der Familie verkuppelt werden, während ihre Lebenspartnerin an einem anderen Tisch sitzt oder bestenfalls erst gar nicht mitkommt. Echt, dabei aber dennoch unwirklich, weil absurd wirkt ein Telefonat zwischen der Mutter in der Türkei und der Tochter in Deutschland über die aktuelle Situation in der Türkei: Die Mutter weiß nichts von einer „Situation“, denn in den Nachrichten kommt ja nichts. Hier ist Theater politisch, wenn auch irgendwie zu lieb – da könnte sich das Gorki ruhig weiter aus dem Fenster Richtung Bosporus lehnen!

Am stärksten ist sicherlich ein Monolog von Maryam Zaree mit (fiktiven?) Fragen an ihre Mutter. Die Fragen, die der Mutter gestellt werden sollen, nicht gestellt wurden und jetzt gestellt werden, live im Hier und Jetzt! Die Auseinandersetzung mit dem Verdrängten wirkt, als geschehe sie tatsächlich zum ersten Mal: die Folter im Iranischen Gefängnis, die Schwangerschaft, Gefühle, Schmerz und Vergangenheit, alles kurz vor der emotionalen Schmerzgrenze, rücken ins Licht. Eindringlicher kann Theater kaum sein. Und auch hier ist nicht ganz klar, wieviel Realität Ronen ihrem Ensemble abverlangt. In weiteren unmittelbaren Rollen: Oscar Olivio und Orit Nahmias!

Glück angesichts eines starken Theaterabends, der immer wieder packt, einnimmt, verunsichert und anrührt - und dabei auch noch unterhält.