Gefangen im zeitlosen Totalitarismus
Das hinreißend-schöne Schlussduett, mit dem sich die himmlische Aida und ihr Traummann Radames in unterirdischer Gruft zum Tod vereinen wollen, singen Miriam Clark und Rafael Rojas aus der Seitenloge im Nationaltheater Mannheim. Naturgemäß zur Irritation vieler Premierenbesucher, denen Regisseur Roger Vontobel eine Aida-Sicht vorsetzt, die mit ironischen Brechungen arbeitet, als ob er den Ernst der Lage nicht erkannt hätte.
Hat er aber sehr wohl, wenn er die Verführbarkeit der Massen im zeitlosen Totalitarismus illustriert, und sich dafür von Palle Christensen eine riesige Tribüne bauen lässt. Auf der schweift anfangs Radames' Blick in die Ferne; eine Bierdose – oder ein Energy Drink – hält er in der Hand und erträumt sich unerreichbaren Ruhm. Später wird allerlei Volk mit umdrehbaren Schilden den Massenwahn illustrieren, wir kennen das aus Fußballstadien mit Fahnen-Ornamenten, aus der Choreographie zur Eröffnung olympischer Spiele oder aus Nordkorea und anderswo, wenn Herrscher gefeiert werden wollen. Die Dinge haben sich verselbständigt, sie sind entrückt wie das finale Duett, oder austauschbar, egal wie die Sieger heißen. Vontobel erzählt keine quasi-reale Geschichte aus Ägyptenland, sondern er abstrahiert: Wo und wie Schnittlinien einer sich unaufhaltsam wälzenden Machtmaschinerie ins Private eingreifen, Familien zerreißen und jede Form von Glück verweigern.
Dieser unkontrollierbaren Maschinerie entspricht jene der Bühne. Die Arena dreht sich und dreht sich, zu oft, um konsequente Sinnfälligkeit zu entwickeln. Im wirren Gestänge der Tragekonstruktion irrt Aida umher, die Gefangene der Sieger und ihres Herzens. Miriam Clark singt sie anfangs mit etwas unruhigen Registern, doch schwingt sie sich im Verlauf der Aufführung zu imaginativer Größe auf. Die eigentliche Fallhöhe aber durchmisst ihre Gegenspielerin Amneris, die von der intrigant wütenden Selbstsüchtigen (will sie doch an der Seite des Siegers Radames Königin werden und dafür alles aus dem Weg räumen, was und wer entgegensteht) zur schmerzvoll Leidenden wird. Die daran zerbricht, dass sie den wegen Landesverrats zum Tod verurteilten Radames nicht mehr retten kann. Heike Wessels zeichnet diese Figur mit ihrem dramatischen Mezzo sängerisch umwerfend gut und darstellerisch überzeugend. Für Radames, den Rafael Rojas nach anfänglichem Intonationsmühen mit großem, jugendlichem Heldentenor packend aussingt, hat die Regie eine besondere Deutung parat: Siegreich aus dem Feldzug zurück, scheint er jede Parade verweigern zu wollen. Resignierend sitzt er vor der Kulisse, zündet sich eine Zigarette an, will offenbar von allem nichts wissen, denn er weiß um Vergänglichkeit. Hinter dem vordergründigen Triumph lauert das Desaster.
Die Kostüme zitieren diskret das ägyptische Kolorit mit schlichten Priester-Hosen und kombiniert diese mit heutigen Sakkos. Einzig der Bote (Pascal Herington) kommt wie ein vom Irak-Krieg zerfledderter GI aus der Kulisse. Sung Ha singt mit herrlich strömendem Bass den Oberpriester Ramphis und Jorge Lagunes einen nahegehenden Amonasro mit baritonaler Kraft, der sich gegen sein Schicksal als Unterworfener stemmt und sein Unvermögen auf Tochter Aida abwälzt. John in Eichen wird als Ägyptens König von der Regie als manipulierbares Aushängeschild gesehen – wer denkt da nicht an den einen oder anderen Präsidenten auf Gottes Erdboden. Bezaubernd lyrisch singt Nikola Hillebrand das Lied der Tempelsängerin.
Der neue Generalmusikdirektor Alexander Soddy feiert einen gelungenen Einstand. Er lässt das Nationaltheater-Orchester dynamisch weit agieren und hat das Bühnengeschehen mit Riesenchor (Dani Juris, auch neu am Nationaltheater) und auftrumpfenden Sängern gut im Griff. Dennoch scheint er sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft zu haben, wenn die Balance zwischen Kammerspiel und Massenspektakel gelegentlich etwas eckig wirkt.
Opernintendant Albrecht Puhlmann war in seiner Dankesrede während der Premierenfeier ein wenig pikiert, als bei der Namensnennung Roger Vontobel wieder Buh-Rufe die allgemeine Zufriedenheit stören wollten. Der aber nimmt's gelassen, er wäre nicht der erste Theatermann, dem ein kleines Skandälchen zu erhöhter Reputation verhelfen würde.