Der Andere und ich
Noch vier Mal schießt der Protagonist Meursault auf den leblosen Körper. Am Stand von Algier tötet er einen Araber und wird zum Mörder, doch Meursault verfolgt passiv den Gerichtsprozess, an dessen Ende das Todesurteil steht, wie ein Fremder. Als ginge es nicht um sein Schicksal, sondern um das eines anderen.
Regisseur Philipp Preuss, Österreicher und zum zweiten Mal an der Schaubühne inszenierend, hat Der Fremde von Albert Camus als eindringliches Monologisieren mit reichlich Tempiwechseln und farbenfrohen Facetten der Innenschau auf die Bühne gebracht. Die Bühnenfassung ist von Preuss, die Übersetzung stammt von Uli Aumüller.
Der Fremde baut sich aus drei Gestalten auf: zwei Männer (einer davon bin ich) und eine Frau“, schreibt Camus in seinen Tagebüchern – an der Schaubühne haben Bernardo Arias Porras, Iris Becher und Felix Römer sich schlichte graue Anzüge, weißes Hemd und eine Krawatte (Kostüme: Ramallah Aubrecht) angezogen und teilen die Geschichte so in viele winzige Teile, die sich immer wieder neu zusammensetzen. Und dann, wenn man denkt, den Charakter des Mörders Meursault fassen zu können, platzt an anderer Stelle der Bühne ein Wortfetzen dazwischen, der die schöne Gewissheit zunichte macht.
Dabei setzt der Regisseur Preuss auch auf durchaus witzige Elemente, etwa eine Lachmaschine, wie man sie aus amerikanischen Sitcoms kennt und die am Ende der Sätze verwirrende Lacher setzt: „Es gelte hinzunehmen, dass Welt und Dasein unerträglich sinnfrei seien und es keine höhere Bedeutung gebe“, schreibt Camus in dem Essay „Der Mythos des Sisyphos“, der parallel zu Der Fremde entstand.
Das Fatalistische an Camus‘ Werk kommt im Bühnenbild einer Gefängniszelle gut heraus, vielleicht zu gut? Sicherlich hätten dem Reigen hier und da noch ein paar mehr Metaphern gut getan, etwa wie die, wenn die Spiegelung der Sonne am Messer des getöteten Arabers mit einem Scheinwerferschwenk Richtung Publikum versinnbildlicht wird: Dann sind wir so geblendet wie Meursault, der nichts sieht und in Notwehr schoss? Die weiteren vier Schüsse auf den Toten machen die Notwehr hinfällig; zudem ist die Hauptfigur gefühlskalt, denn kurz nach dem Tod seiner Mutter hatte Meursault eine Affäre angefangen. Bernardo Arias Porras gibt ihn irgendwie hektisch, was daran liegen mag, dass Preuss ganz aufs Textliche, hier und da auch über Umstellungen, fokussiert.
Was ist die Inszenierung an der Schaubühne dann? Ein bisschen Gerichtsshow, ein bisschen fleißige Textrezitation, aber alles in allem so dicht arrangiert, dass die Inszenierung das Premierenpublikum spürbar überzeugte.