Übrigens …

Das Lied von der Erde im Hamburgische Staatsoper

Zu simpel für Mahlers Schwermut

Seit er als junger Tänzer in Stuttgart Gustav Mahlers Das Lied von der Erde in der Choreografie von Kenneth MacMillan kennen und schätzen lernte, hat dieser sinfonische Zyklus mit Gesang John Neumeier nicht mehr los gelassen. Für das Ballett der Oper Paris choreografierte Hamburgs Ballettdirektor im vorigen Jahr schließlich die Komposition und feilte sie nun mit seiner eigenen Kompanie aus. Mensch und Natur begegnen einander in den sechs uralten chinesischen Gedichten. Todesschwangere Bilder und Chiffren - wie heiter sie auch mitunter klingen - beherrschen die melancholisch poetischen Texte. Schuberts Winterreise ist nicht weit.

In einem langen, lautlosen Prolog, akzentuiert lediglich von knappen Ausschnitten aus dem Klavierauszug der Orchestermusik, stimmt Neumeier das Publikum (und sich selbst?) auf die Gedanken von Leben und Tod ein. Auf einem Anger - einer grasbewachsenen Schräge - liegt traumverloren ein junger Mann (Alexandr Trusch). Ein gemalter Mond schwebt darüber und ein großer Spiegel. Eine ätherische Gestalt in Weiß (Hélène Bouchet) - Muse oder Todesengel? - trippelt herein. Viele Rituale werden später zelebriert und ausgelassene Spiele von Paaren und Gruppen gespielt - und alles gespiegelt. Bezüge zu den jeweiligen Liedtexten sind kaum je auszumachen. Einmal formen Tänzerinnen die Hände zu Lotusblüten. Getrunken wird aus einer kleinen Schale, fernöstlicher Charme mit zirzensischer Akrobatik dazu kredenzt. Ein buntes Lichterspiel lässt Mond und Raum blau, golden, orange, weiß oder grünlich changieren. Nebelschwaden ziehen herauf. Zu viel Kunstgewerbe ist das - zu wenig anders auch das ganze Konzept und Personal als in der vorigen, so unvergleichlich eindrucksvolleren Neumeier-Premiere mit Messiaens Turangalîla zur Eröffnung der 42. Hamburger Ballett-Tage im Sommer.

Allzu ermüdend, fast lähmend legte sich das unendlich schleppende Tempo der Musik über den Saal - als habe man das Philharmonische Orchester Hamburg mit seinem Dirigenten Simon Hewett samt den Solisten Klaus Florian Vogt und Michael Kupfer-Radecky zu einer Pompe Funèbre geladen. So wäre denn Neumeier also dem anderen Namen für Mahlers Werk gefolgt: Das Lied vom Ende. Nur: irgendwie will das alles nicht so recht zusammen stimmen mit Neumeiers ewig kindlicher Peer Gynt-Welt. Für Mahlers Schwermut ist das alles zu simpel, zu laut und zu bunt....Das sichtlich erschöpfte Premierenpublikum spendete matten Applaus.