Die Walküre im Badisches Staatstheater Karlsruhe

Noch ist das Eis nicht geschmolzen

Moderne Zeiten, die Kavallerie, als die sich Walküren durch die Lüfte schwingen, hat ausgedient. In Karlsruhe schweben die acht Maiden per Video an Fallschirmen herab, inmitten Schneegestöbers in Richtung Watzmann oder Matterhorn. Dann werden sie auf einem Hochplateau materialisiert, die Schneebrille schützt gegen die gleißende Helle, der Rucksack mag Notproviant enthalten und die Overalls wirken wintertauglich. Hoppla, was ist denn da los im Badischen Staatstheater, wenn Regisseur Yuval Sharon den dritten Aufzug der Wagner-Oper Die Walküre einläutet? Gegenüber den poetischen Bildern am Anfang mag dies wie ein Bruch erscheinen, doch Sharon besinnt sich auch hier darauf, was den Wert dieser Produktion ausmacht: Eine tiefgründige Durchleuchtung der Motive für menschliches Handeln. So stochert Wotan – den Renatus Mészár in gewohnt einnehmender und intensiver Manier singt – mit seinem Speer eher verlegen im Styropor-Eis herum und weiß wie ein kleiner Trotzkopf nicht mehr so genau, warum er nun Brünnhilde verstößt. Aber ein Mann ein Wort, zumal er ja seiner Fricka im verbalen Gefecht unterlegen war. Die wiederum findet in Ewa Wolak eine grandiose, weil den Ehekrieg mit furioser Dramatik angehende Protagonistin.

Noch einmal zum Schlussbild: Brünnhilde wird in einen Eisblock verschlossen, wenn dann aber Feuerlohen um sie herumwabern, müsste der eigentlich schmelzen und sie freilassen, doch ihre Erlösung hat Richard Wagner bekanntlich auf das Siegfried-Finale verschoben. Brünnhilde indes wird hier in der Walküre von Heidi Melton hochdramatisch, stellenweise mit überbordender Wucht gesungen, sie stemmt sich, auch körperlich, gegen ihr Schicksal. Doch schicksalhaft verkettet sind ja alle Figuren. Im ersten Aufzug öffnen sich von einer imaginativen Wand Türen, aus denen Sieglinde, Hunding und Siegmund treten oder der Ohnmacht nahe stürzen. Doch diese Türen beherbergen auch diskrete Bilder von Natur und Bedrohung, oder sie zeigen Instrumentalsolisten aus dem Orchestergraben; der Zuschauer darf sich auf die geschmackvolle Bühnengestaltung einlassen und behält Raum für die Musik, die von GMD Justin Brown mit der Badischen Staatskapelle vorbildlich und wunderschön im Strömen wie auch im zupackenden Aufriss präsentiert wird.

Den zweiten Aufzug  beherrscht eine schmale, steile Rolltreppe, im Auf und Ab tragen Wotan und Fricka ihren Zwist aus, den Fricka in böser Macht für sich gewinnt, denn Wotan wird in dieser Schlacht gedemütigt. Das zeigt Yuval Sharon sehr dinglich, denn die vorgeblichen Götterwesen sind Menschen mit Anfechtungen und Fehlbarkeit. In der Ensemblemannschaft fällt Katherine Broderick als facettenreiche Sieglinde ebenso auf wie die Bass-Strahlkraft des Hunding von Avtandil Kaspeli, der mit breiter Brust dem Rivalen entgegen tritt. Peter Wedd singt diesen Siegmund mit großer Geste, sein Heldentenor trägt hervorragend, allerdings sind einige Vokal-Unarten leicht auffällig.

Das Ring-Projekt in Karlsruhe ist auch deshalb interessant, weil sich vier verschiedene Teams der Tetralogie annehmen. Die vom Premierenpublikum außerordentlich wohlwollend aufgenommene Walküre in der Sicht von Yuval Sharon gemeinsam mit Sebastian Hannak (Bühne) und Sarah Rolke (Kostüme) ist dabei nach Rheingold von David Hermann ein wichtiger Baustein. Das einigende Band aber knüpft Justin Brown am Pult.