Übrigens …

Salome/Falstaff im Landestheater Linz

Frischer Wind in Linz - Oper für heute

Zehn Jahre lang hat der gebürtige Bielefelder Regisseur und Intendant Rainer Mennicken als unermüdlicher Manager, Mensch und Künstler „geackert“, um das jahrzehntelang heiß diskutierte, 2013 endlich eröffnete neue Musiktheater am Volksgarten in Linz zu einem Leuchtturm in der oberösterreichischen Industrie- und Kulturstadt zu machen und fit für die erste Liga in der Alpenrepublik.

Von vorn herein hatte Mennicken seine Intendanz - nach sieben mühevollen Jahren der Entscheidungen über den Neubau und mehr als 150 Bausitzungen - auf drei Jahre im neu eröffneten Haus begrenzt. Das Ensemble aller Sparten hatte er darauf eingeschworen, dass ihre Kunst auch das Kunststück vollbringen müsse, ein kommerzieller Gewinn für die Stadt zu werden. Das hat in frappierender Weise geklappt. Dass Mennickens Nachfolger es schwer haben würde, stand außer Frage. Denn nun kehrt der Alltag ein in die elegante Pracht. Mit viel Diplomatie stellte Hermann Schneider, aus Würzburg kommend, für die nun laufende, seine erste Saison einen Spielplan vor, in dem er demonstrativ auf die Balance zwischen regionalem Bezug und zeitgemäßem traditionellen Repertoire setzt. Für das Schauspiel steht in wenigen Wochen das völlig umgebaute Theater an der Promenade zur Verfügung.

Deutlich frischer Wind weht in der Oper. Da markieren zeitgemäße Handschriften das Bild - nicht zur Freude aller Zuschauer. „Kann denn nicht einfach manches so bleiben, wie's ursprünglich ausgedacht worden ist?!“ fragt rhetorisch unsere Platznachbarin am Ende der brisant-aktuellen Salome-Inszenierung. Schön wär's in der Tat (manchmal), wenn ein Kunsterlebnis sich in sinnlich-intellektueller Erbauung erschöpfen dürfte. Marc Adams aber inszeniert gnadenlos realistisch menschenverachtende IS-Gewalt, sexuellen Missbrauch von Kindern im familiären Umfeld und jugendlich verrohte, pervertierte Enthemmung.

Schauplatz ist das Luxusambiente einer herrschaftlichen Residenz mit Swimmingpool auf großzügigem, sonnendurchfluteten Areal im Nahen Osten. Der Hausherr - leider viel zu bieder in Darstellung und Gesang: Paul McNamara als Herodes - pflegt die neueste Weltbürgermode: er trägt einen grauen Businessanzug mit Weste und Krawatte. Herodias (Karen Robertson) tritt in tief dekolletierter langer Spitzen-Abendrobe auf. Schwer bewaffnete Miliz sichert das Gelände, wo man den christlichen Revoluzzer eher gefangen hält als ihn zu verstecken. Teenie Salome kommt im unzweideutig lasziven Barbie-Look daher, hat sicherheitshalber aber noch das Stoffpüppchen in Reichweite. Wenn sie für den Stiefvater tanzen soll, weiß sie genau, dass er sexuell erregt werden will. Mit der Zunge schleckt sie seine Fußsohlen ab, während ihre Hände immer höher hinauf seinen Körper streicheln und viel eindeutiger an seiner Kleidung fummeln als jede Salome früherer Zeiten an den sieben Schleiern, die ihre vermeintliche Unschuld verbargen. Astrid Weber (am erlebten Abend stimmlich in der Höhe zu schrill, aber intonationssicher) müht sich redlich, das missbrauchte Kind zu mimen. Abstoßend unappetitlich spielt sie, wie viel diese „Göre“ wirklich sexuell weiß, will und mit wem, nachdem die Bewacher den blutjungen Jochanaan (Tuomas Pursio) enthauptet haben und ihr den Kopf hinwerfen wie Zoowärter einer Wildkatze frische Fleischbrocken. 

Richard Strauss distanzierte sich von seinem Musikdrama später lapidar als ahnte er heutige Wirklichkeiten. Er warnte: „Man kann es als einmaliges Experiment an einem besonderen Stoff gelten lassen, aber zur Nachahmung nicht zu empfehlen“. Marc Adams Inszenierung überträgt den biblischen Stoff in der gewagten Fassung von Wilde/Strauss mit erschreckender Konsequenz und Schlüssigkeit in heutige Realität, unterstrichen vom vorzüglichen Bruckner-Orchester Linz unter Noch-GMD Dennis Russell Davies mit bestürzend dramatischen Dissonanzen, die wie lauter Fragezeichen und Warnrufe klingen. 

Weniger heikel, dafür mit dezidiertem Bezug zur industriellen Linzer Geschichte und Gegenwart geht Verdis Alterskomödie Falstaff in der Regie von Guy Montavon und der Ausstattung von Hank Irwin Kittel über dieselbe Bühne. Die Backsteinfabrik von außen und innen mit Rädern, Spulen, Galerie, schmiedeeisernem Tor, Gleis und Kipplore (statt Wäschekorb) ist ein echter Hingucker. Falstaff (Federico Longhi als Gast) haust da irgendwo mitten drin mit riesigem Doppelbett wie ein Penner. Deftig, herrlich - und wie köstlich spitz dazu Verdis Musik kichert!

Beide Inszenierungen, gesehen an zwei auf einander folgenden Tagen, dirigierte Dennis Russell Davies - einstiger Bonner GMD und seit 2002 eindeutig der Musiker, der das Musikleben der Bruckner-Stadt bestimmt und das Bruckner-Orchester samt Bruckner-Fest im malerisch an der Donau gelegenen Bruckner-(Konzert-)Haus weltweit bekannt gemacht hat. Dass der nun fast 70-Jährige bis zum bevorstehenden Ende seiner öffentlichen Musikerkarriere Ende 2017 in der Donaustadt bleibt, also ein Jahr länger als bis zum Intendantenwechsel, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Es war ihm daran gelegen, sagte er uns, dass nicht Intendant und GMD zum selben Zeitpunkt wechseln. Der überaus sympathische Dirigent wollte also zu einem sanften Übergang beitragen, damit das Renommee des Linzer Kulturlebens und der unerwartet große Erfolg des neuen Hauses die bestmögliche Chance auf Fortsetzung hätte. Wie viele Künstler denken heute noch so selbstlos? Seinen designierten Nachfolger Markus Poschner aus Bremen lobt der wahleuropäische amerikanische Profi Davies in höchsten Tönen.

Der neue Linzer Intendant Hermann Schneider kann sich trösten, dass er beileibe nicht der erste Chef einer großen Kulturinstitution in Linz (oder anderswo) ist, dessen zeitgemäße Kunstsicht die Zuschauer irritiert. Der visionären Direktorin des avantgardistisch orientierten Lentos Kunstmuseums Stella Rollig wehte anfangs eine steife Brise ins Gesicht. An eine „mediale und politische Schlammschlacht gegen Sie als Person und das, wofür Sie und Ihr Kunstbegriff stehen“ erinnert sich das Linzer Kulturmagazin Die Referentin, das im Foyer des neuen Musiktheaters ausliegt. Gerade wechselte Rollig ans renommierte Belvedere-Museum Wien, fällt also steil treppauf. Gegen diesen Linzer Anfang mutet der von Zuschauerkritik und leeren Plätzen begleitete „frische Wind“ in der Linzer Theaterlandschaft wie ein Willkommensgruß an.