Pure Emotionen
Was muss Richard Strauss’ Salome doch für die Zuschauer der Uraufführung für ein Schock gewesen sein. Diese unerhörte Musik, sinnlich und verstörend zugleich, fremd und packend. Wie jung ist sie heute, noch 117 Jahre nach ihrer Entstehung.
Die Nordhäuser Operndirektorin Anette Leistenschneider lässt ihr Publikum ein wenig nachvollziehen, was die Dresdner im Jahre 1905 empfunden haben mögen. Leistenschneider und ihr Team schaffen eine Szenerie, die sich am Antikenbild dessen orientiert, was man sich auch im Uraufführungsjahr ähnlich auf der Bühne hätte vorstellen können: eine Ruinenlandschaft mit einer Zisterne, ein riesiger Mond, mal silbern, mal blutrot. Und Kostüme überladen golden für das Herrscherpaar und eine rotgewandete Salome. Ein für uns sicher fast kitschiges, schwülstiges Ambiente, das aber heute – wie sicher damals - im Kontext mit Strauss’ Musik erstaunlich gut funktioniert. Denn Leistenschneider gelingt es so, pure Emotion in den Mittelpunkt dieser Salome zu stellen. Nichts lenkt ab vom wahrhaft heißen Tanz auf dem Rand des Vulkans der Leidenschaften. Kein Wunder, dass der Hauptmann Narraboth sich das eine oder andere Mal das Gesicht im Wasser kühlen muss, um nicht vollends den Verstand zu verlieren. Narraboth hat viel zu schwache Nerven, um sich auf das gefährliche Spiel mit der Prinzessin Salome einzulassen, denn die spielt eindeutig Russisches Roulette, steuert sehenden Auges auf ihr Ende zu.
Anette Leistenschneider will genau das zeigen, Bilder für monströse Gefühlswelten finden. Sie verzichtet dabei auf psychologische Figurenausdeutung, nimmt uns aber geradewegs mit auf eine Reise ins Auge eines Orkans. Das hat auch was, wenn ihr auch eine der Schlüsselszenen, der „Tanz der sieben Schleier“ nicht recht gelingt. Hier wird der Transport von Erotik pur durch manchmal nicht recht flüssig wirkende Bewegungsabläufe durchbrochen.
Majken Bjerno hat die Partie der Salome im Griff. Sie verfügt über Kraft und eine leuchtende Höhe. Das macht den Wunsch nach einem Mehr an stimmlichen Nuancen fast vergessen. Karsten Münster als Herodes geifert geradezu, wenn er Salome sieht. Und Anja Daniela Wagner reiht sich darstellerisch überzeugend ein in die Reihe der alkoholkranken Herodias-Darstellerinnen. Yoontaek Rhim ist ein profunder Jochanaan, dem es vielleicht noch ein wenig an feurigem Glaubenseifer mangelt, während Angelos Samartzis stimmstark den unglücklichen Narraboth verkörpert.
Ein großer Pluspunkt dieser Salome ist das Loh-Orchester Sondershausen unter seinem GMD Michael Helmrath. Aus dem Graben quillt die ganze Fülle von Strauss’ Partitur – Wahnsinn, Hoffnung, Liebe, Geilheit. Alles ist perfekt abgestimmt auf den Raum, nichts zu laut, nichts geht unter. Klangmassen türmen sich auf und zum Reißen gespannte Erwartung legt sich über das Publikum, das am Ende völlig zu Recht begeistert applaudiert. Denn in Nordhausen wurde aufs Schönste bewiesen, dass die Salome auch in den kleineren Theatern ihren festen Platz hat.