Körperverletzungs-Attacke aufs Publikum
Es beginnt ebenso unfair wie abgedroschen: eine Scheinwerferbatterie, direkt auf Augenhöhe der Besucher, blendet in der Dunkelheit auf und löst erstes Schmerzempfinden der Zuschauer aus . Sogleich danach erfolgt die Attacke auf die Ohren: zunächst noch Brahms’ „Ein deutsches Requiem“, dann ein immer ohrenbetäubenderer Lärm als Technobeat. Beim Einlass wurden zwar optional Ohrenstöpsel ausgegeben, aber selbst damit und mit nachgedrückten Zeigefingern, ist die schmerzhafte Erschütterung des Körpers nicht zu verhindern.
Olga Bachs Dramentext, eigentlich für eine Gruppe am Küchentisch gedacht, verweist auf die Unmöglichkeit, in unserer Gesellschaft etwas verändern zu können. Er zielt auf das Bewusstwerden der Gefährdung Aller angesichts globaler Terror-Anschläge, jenseits des Glaubens, unter einer Kristallkuppel geschützt zu sein.
Dafür hat Ersan Mondtag als Ausstatter einen neoparadiesischen Raum mit Birke und Sträuchern, Teich und drei Statuen, sowie zwei ausgestopften Wildsäuen geschaffen, zunächst hinter einem dichten Paraffin-Nebel verhüllt. Darin eine Frau und drei Männer, in farblich von einander abgestuften Nacktkostümen mit großen baumelnden Genitalien. Unter Drogengenuss ist diese Nachachtundsechziger-Generations-Gruppe gelangweilt und debattiert Nonsens. Ein junger Hund wird im Wasser ertränkt – doch die Handelnden agieren nicht. Zu ringsum, auch im Zuschauerraum, eingespielten Urwald-Tierlauten (Florian Mönks’ „Wald Soundscape“), deklamieren Deleila Piasko, Jonas Grundner-Culemann, Lukas Hupfeld und Sebastian Schneider als eine (so die Ankündigung) „Gemeinschaft unterbeschäftigter Gutmenschen“. „Urbanen Stress verursachen“ sie hier in erster Linie mikroportverstärkt. Die bisweilen an Kroetz und Fassbinder gemahnenden Texte, inklusive totalitärer Tendenzen, sind aufgrund der Übersteuerung kaum zu verstehen, aber nachzulesen und im Kopf rückzuübersetzen durch die links und rechts von der Bühne projizierte englische Übersetzung. Die Darsteller bewegen sich, wenn überhaupt, in sprunghaften Handlungsmustern und betreiben endlose, technisierte Dauerficks in ungewöhnlichen Positionen. Schließlich tanzt ein „echter“ Nackter durch das Kunstparadies, baumelt mit seinem Gemächt vor der Nasen der ersten Reihe, stürzt sich in den Wassertümpel und besteigt eine der Wildsäue.
Inzwischen ist es so laut geworden, dass die ersten jener Besucher, die den Stücktitel „Die Vernichtung“ beim Kauf der Karte nur metaphorisch verstanden hatten, fluchtartig den Zuschauerraum verlassen haben.
Genau so laut wie zuvor der Technobeat von Jonas Grundner-Culeman ertönt am Ende dann nochmals Klassik: mit dem Marcia Funebre aus Beethovens Dritter kehrt Herbert von Karajan erneut zurück nach Westberlin. Obgleich sich das Berner Theater „Konzert Theater“ nennt, enthält die Aufführung keinerlei Live-Konzert-Elemente. Für Brahms und Beethoven wird auf Schallplatteneinspielungen mit den Berliner Philharmonikern zurückgegriffen.
Am Ende ein Buhsturm des Publikums, wie er beim Theatertreffen unüblich ist.