Machtmenschen und Kraftprotze
Fast 250 Werke hat Ernst Krenek geschrieben, während eines langen Lebens, das beinahe das komplette 20. Jahrhundert umspannte. Zum Oeuvre zählen gut 20 Opern, die von enormer Vielfalt zeugen – nicht nur hinsichtlich der genaueren Gattungsbezeichnung, sondern auch mit Blick auf die musikalischen Stilmittel. Kritiker waren und sind schnell mit dem Vorwurf des Eklektizismus bei der Hand, das als Schlagwort taugen mag, nicht aber einer differenzierten Argumentation standhält. Krenek sah sich wohl einerseits als Teil eines historischen Kontinuums, will heißen, er komponierte nicht im luftleeren Raum. Zum anderen reizte ihn jede neue Entwicklung, sich mit ihr lustvoll experimentierend auseinander zu setzen. Sein Zitieren war dabei raffiniertes Verwandeln oder Maskieren. Die Musik des Österreichers ist pointenreich und ziemlich unakademisch.
Doch was nutzt es: Im Repertoire der Opernhäuser gilt landauf, landab Kreneks Werk als Nischenprodukt, schwer zu vermitteln, entsprechend selten auf den Spielplänen zu entdecken. Nur gut, dass in Frankfurt/Main ein anderer Wind weht, und das seit Jahren. Die kontinuierliche Beschäftigung mit (vermeintlichen) Raritäten generiert durchaus ein breites Publikum. Nicht überall dürfte das Haus an einem Sonntagnachmittag, bei schönstem Frühsommerwetter, zu einer Vorstellung von Kreneks drei Einaktern Der Diktator, Das geheime Königreich und Schwergewicht oder die Ehre der Nation bis auf die Ränge hinauf derart gut gefüllt sein. Andere Theater wären da froh, wenn’s im Parkett nicht allzu löchrig aussieht. Hier aber herrscht reges Interesse, ja intellektuelle Neugier, und David Hermanns Regie, seine behutsame, sinnfällige Verklammerung des Triptychons, bietet intellektuell anspruchsvolle Unterhaltung in bester Form.
Krenek schrieb seine Trias 1927, inklusive der Libretti, unmittelbar nach dem Sensationserfolg der Jazzoper Jonny spielt auf. Da war er gerade mal 27 Jahre alt, ein Künstler der „Roaring Twenties“, einer Epoche, die musikalisch gesehen zwischen Spätromantik und Neoklassizismus, Expressionismus und 12-Ton-Regelkunde, zwischen Jazzidiomatik und Operettensehnsucht hin und her taumelte. Der Komponist selbst gab unumwunden zu, wo und wie er sich bedient hatte, um seiner dramatischen Oper Der Diktator ebenso Gesicht und Gewicht zu geben wie dem satirischen Märchen vom Geheimen Königreich und der burlesken Operette über das Schwergewicht. Und doch schuf er ganz Eigenes: ein transparentes Klangbild, bedingt durch die Verwendung eines eher kleinen Orchesters, mal dunkel und schroff tönend, mal sehnsuchtsvoll und hymnisch, mal launig und voller überraschender Wendungen. Das farbenreiche Schlagwerk gibt einerseits den oft tänzerischen Rhythmus oder dramatische Impulse vor, krönt zum anderen emotionale Höhepunkte.
Am Beginn steht die große Tragik. Die Macht des Diktators entpuppt sich als Fessel. Sein emphatisch vorgetragener Leitsatz „Gewalt reizt Gewalt, und der Stärkere siegt“ ist gewissermaßen der Strick, in dem er sich verfangen hat. Einst hatte er seine Truppe in den Gaskrieg geschickt, jetzt will Maria, deren Mann zu den erblindeten Opfern zählt, den Herrscher töten. Doch sie erkennt dessen Zwangslage und verliebt sich in ihn. Dann schießt die eifersüchtige Gattin auf den Diktator, Maria springt dazwischen und stirbt. Krenek hat dieses dramatische Kammerspiel auf 30 Minuten komprimiert. Anklänge an Puccini, ein wenig auch an Richard Strauss, sind expressiv gebrochen und führen in eine klanglich eruptive Katastrophe, wenn Marias blinder Mann vergeblich nach seiner Frau ruft.
Für die Regie indes steht der resignierte Herrscher im Mittelpunkt, der sich abzulenken trachtet beim Besuch einer kleinen, humorigen Revue namens Schwergewicht oder die Ehre der Nation, aber auch dort sein Fett kriegt. Der als amtsmüder König vor der Revolution flieht und schließlich im Einklang mit der Natur sein Geheimes Königreich findet. Diese Verkettung, zudem die Platzierung der Burleske in der Mitte des Triptychons, mag nicht original Krenek sein, ist aber auch keine gewaltsame Verzerrung. Regisseur David Hermann findet eindringliche Bilder und lässt die Sänger lustvoll spielen. Jo Schramm hat dazu die Bühne vielseitig ausgestattet: nahezu abstrakt in der Attentatsoper, als Offizierskasino mit Varieté-Bühne für die temporeichen Szenen eines tumben Boxers, dessen Frau ihn mit einem Tänzer betrügt. Den amtsmüden König der Märchenoper wiederum umgibt zunächst ein ausgebombtes Haus, das Hin zur Natur ist in einem breiten Waldstück verortet, das freilich bloß aus Felsen und Baumstümpfen besteht. Dort hockt der Herrscher indes wie ein kreuznaiver Jung-Siegfried. Und des Königs Narr, im übrigen eine stets präsente Figur in allen drei Opern, belehrt uns augenzwinkernd, ein klein bisschen solle das Spiel auch zum Nachdenken anregen.
Das allerdings liegt auf der Hand. Denn Kreneks Triptychon entspricht dem Typus der Zeitoper, die Kritik an Krieg und Diktatur ist evident, die launige Boxerpersiflage unter Verwendung von Walzer, Fox, Tango und Galopp kratzt am Bild des starken, intellektuell aber unterbelichteten Mannes. Kleine gezielte Schläge gegen den Journalismus und die Psychoanalyse tun ihr übriges. Im Märchenstück wiederum geht’s auch um Machtgier (Die Königin will die güldene Krone unbedingt behalten) und eine Revolte, deren Anführer durch auffällig tenorales Kraftgeprotze ziemlich unsympathisch wirkt.
Wunderbar fokussiert dagegen Davide Daviani, der als Diktator/König unter seiner Macht leidet und verzweifelt wie einst Wotan („In eigener Fessel fing ich mich“), mit großvolumigem, klar geführtem Bariton. Kernig und kantig an seiner Seite der Narr, dem Sebastian Geyer im Geheimen Königreich mal sanfte Ironie, mal beißenden Spott verleiht. Beide sollen hier genannt werden stellvertretend für das durchweg gute Ensemble. Seine Spielfreude formt aus jeder Rolle einen griffigen Charakter. Und mit Lothar Zagrosek am Pult erweist sich das Frankfurter Opern- und Museumsorchester als so lustvoll wie feinfühlig agierender Interpret. So dass Ernst Kreneks Triptychon nicht zuletzt zu einem inspirierenden Hörerlebnis wird.