Zufällige Wirkungen
Sieben Jahre nach Gustav Mahlers Achter, die aufgrund des Aufwands von rund 1000 Mitwirkenden den Beinamen „Sinfonie der Tausend“ erhalten hat, vollendete Richard Strauss seine Oper Die Frau ohne Schatten, die musikalisch mit der 1910 in München uraufgeführten Symphonie Mahlers Einiges gemein hat. Dies machte die Premierenabfolge beider Partituren an der Hamburger Oper besonders deutlich. Die felsigen Geisterwelten der Mondberge sind ohne die Bergschluchten aus Goethes Schlussszene von Faust II, welche dem zweiten Teil von Mahlers gigantischer Komposition zugrunde liegt, kaum denkbar, bis ins Detail hinein, dem exzentrischen Streichersolo oder der kompositorischen Umsetzung des Schwebens zwischen den Welten.
Die Hamburger Premiere der Märchenoper von Hofmannsthal und Strauss hatte Kent Nagano geleitet, der anschließend auch Mahlers Achte einstudiert hatte – aber dann erkrankte der neuer Hamburger Generalmusikdirektor.
Für ihn sprang Eliahu Inbal ein, der mit ungebrochen jugendlicher Frische die Partitur und deren zahlreiche Beziehungen zu Mahlers Freunden auslotete, insbesondere zu Schönberg und Zemlinsky. Durch Inbals gleichermaßen auf Klangfarben wie auf symphonische Verdichtung setzender Interpretation wurde auch die partielle Verwandtschaft von Mahlers Achter zum szenischen Vorspiel von Hans Pfitzners romantischer Oper Die Rose vom Liebesgarten deutlich: wenig verwunderlich, dass Mahler bei Goethes Worten von „Liebesboten“ oder „Rosen aus den Händen“ die von ihm als Wiener Hofoperndirektor propagierte Oper Pfitzners so deutlich in den Sinn kam, dass er sie kompositorisch nachempfindend musikalisch alludierte.
Weniger wichtig erscheint Inbal hingegen die Interpretation der gesungenen Texte, des mittelalterlichen lateinischen Pfingsthymnus Veni Creator Spriritus im ersten und der Goetheschen Schlussszene im zweiten Teil.
Hier zeigten sich allerdings auch Mankos in der Akustik des vielgelobten neuen Gebäudes; selbst jene der sieben Solisten, die sich aus Wagnerscher Tradition der Konsonanten annahmen – wie der Tenor Burkhard Fritz als Doctor marianus (Faust) oder der Bass Wilhelm Schwinghammer als Pater profundus – blieben großenteils textunverständlich, andere waren nur als vokalisierende Orchesterbereicherung zu vernehmen.
Nach der Uraufführung im Jahre 1910 in München waren spätere Realisierungen von Mahlers Achter mit weniger großen Besetzungen ausgekommen. Die Reduzierung auf nur 350 Mitwirkende, wie jetzt in Hamburg, haben wohl nur wenige geschafft. Dafür war in Hamburg erstmals eine szenische Komponente angekündigt. Diese beschränkte sich personell auf den Auftritt der Mater gloriosa (Heather Engebretson) auf der rechten 2. Empore, von wo auch das Fernorchester gegen Ende der Symphonie zu vernehmen war. Ansonsten blieben alle SängerdarstellerInnen, wie auch die beiden Opernchöre (Hamburg und Latvija) und der gemischte (!) Kinderchor der Alsterspatzen schwarz gewandet auf ihrem Platz, die SolistInnen für ihre jeweiligen Einsätze dezent durch Spots herausgehoben.
Gleichwohl hatte es für szenische Proben erstmals Schließtage in der Philharmonie gegeben. Die mit Staunen erwartete Szenerie war eine Lichtinstallation von herabhängenden rechteckigen Leucht-Kästen. Vielleicht hat Frau Schmidt („rosalie“) diese sieben Hänge-Stelen in Assoziation zur Minorah gewählt, um darauf hinzuweisen, dass Mahler Jude war, der in der Textwahl der Komposition seiner Symphonien, so auch der Achten, allerdings stets das Christkatholische betont hat.
Um die darauf beleuchtbaren Lichtbögen sinnfällig einzusetzen, hätte es eines musikalischen oder zumindest szenischen Analytikers bedurft, eines Musiktheaterregisseurs, nicht eines Ausstatters. So jedoch blieben die farblichen Assoziationen zu Text und Musik überaus banal, bisweilen in der Wirkung so zufällig, wie ein durch das farbige Glas eines Kirchenfensters dringender Sonnenstrahl: Regenbogenfarben beim statischen (nicht wie in Mahlers Partitur-Anweisung „auf- und abschwebenden“) Pater ecstaticus (Karal Karagedic), Blau fürs „Himmelszelt“, rote Störmomente für den Chor der Büßerinnen und beim „Neige, neige“ von Una Poenitentium – „sonst Gretchen genannt, sich anschmiegend“ – wie es bei Goethe und auch bei Mahler heißt (Jacquelyn Wagner). Und „Alles Vergängliche“ wird schließlich bunt bebildert.
Am Ende der dritten Aufführung, einer Nachmittagsvorstellung, gab es, nach exakt 80-minütiger Aufführungsdauer, im Großen Saal der Elbphilharmonie lange anhaltenden, aber wenig pointierten Beifall.
Noch ein Wort zu den voluminösen Sitzen im Auditorium: sie sind so unbequem, dass die Besucher froh sein durften, dass Mahler keine (umfangreiche) Oper komponiert hat; eine konzertante Götterdämmerung, wie in der Berliner Philharmonie immer wieder einmal zu erleben, möchte man hier wahrlich nicht aussitzen – selbst falls sich das Management der Elbphilharmonie entschließen sollte, künftig ein etwas freundlicheres Einlasspersonal einzusetzen.