Das Spiel mit Klischees und Stereotypen, das Gorki-Theater-Hausregisseurin Yael Ronen zum Saisonauftakt mit Roma Armee auf die Bühne bringt, besticht mit ordentlicher Power - aber verheddert sich im eigenen Anspruch der politischen Korrektheit. „Hauptsache anders“ lautet die Ansage ans Publikum, doch im Potpourri der Vorurteile rund um die Roma-Community gehen die Zwischentöne verloren. Was bleibt, ist ein Bild einer Volksgruppe, das mehr an eine Groteske erinnert und damit wiederum bestehende Klischees bedient.
Schauspieler Lindy Larsson, aus Schweden für diese Produktion extra eingeflogen, zieht zu Beginn der Aufführung das rassistische Zarah Leander-Liedchen „Von der Puszta will ich träumen“ durch den Kakao. Ja, es ist so eine Sache mit diesen tragischen Helden, zu denen auch der UFA-Star Leander zählt: Gesegnet mit einer Jahrhundertstimme und Ausstrahlung, die den Krieg vergessen machte, ließ sie sich von den Nazis vor den Propaganda-Karren spannen - dennoch, obwohl Homosexuelle von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, wird die Filmdiva bis heute in Teilen der Schwulengemeinschaft verehrt wie eine Göttin. Das mitgedacht, weiß man nicht, was man davon halten soll, wenn Larsson in der Pose einer, pardon, Oberschwuchtel mit diesen Assoziationen wedelt. Erlaubt ist, was gefällt, klar, soweit ist man in Berlin schon länger - die Schauspieler flirten schließlich mit einem aufgeklärten Publikum und nicht im bayerischen Bierzelt!
Aber nochmal zur Idee des Stückes: Mit Wut im Bauch stemmen sich Roma gegen jahrhundertelange Verfolgung und Ausgrenzung. Die Schauspieler, die zumeist Roma sind, bilden eine „Roma Armee“, erzählen von ihren Schicksalen, Familiengeschichten und Anfeindungen. Das ist teilweise verstörend, etwa wenn eine Stimmung wie in Arthur Millers Hexenjagd kreiert wird: Angst, Ausgeliefertsein, Hass werden dann spürbar.
Ausgedacht haben sich die Geschichte zur Roma Armee die profilierten Schauspielerinnen, Rapperinnen, Feministinnen und Regisseurinnen Sandra und Simonida Selimovi?, umgesetzt hat es die Frau mit dem Gespür für doppeldeutige Pointen und politisches, zeitkritisches Theater Yael Ronen. Auf der Homepage des Gorki-Theaters ist zu lesen, die Armee sei „übernational, divers, feministisch, queer“. Beim Blick auf die Protagonist*innen bleibt dazu kaum ein Klischee unbedient: Die Frauen tragen Hotpants und Netzstrumpfhosen, sind in zu enge Mieder und zu grelle Fransenteile gezwängt, hier noch ein bisschen Watte im Höschen, dort der Griff in den Schritt. Die Roma-Frauen treten aggressiv auf und schreien dem Publikum entgegen, was sie bewegt: Ihre Sexualität, ihre nächste Menstruation, ihr Kreisen um Identität. Ist es dann Überzeichnung, was die Zuschauer da geboten bekommen, ist es der Versuch, mit Klischees zu brechen, indem man sie bedient, ist es das freie Ausleben des Ichs auf der großen Bühne, plötzlich im Mittelpunkt zu stehen und nicht mehr am Rand der Gesellschaft, in Wohnwagencamps oder billigen Sozialwohnungen?
Die Frage bleibt, ob sich die Roma-Frauen beziehungsweise Schauspielerinnen am Gorki-Theater mit dem Bedienen von Klischees einen Gefallen tun, denn die Bilder der frivolen Roma, die ihre Sexualität offen zur Schau stellt, kommen massiv und oft ohne doppelten Ton daher. Das Ganze wird in Berlin in den Hallraum einer Gesellschaft projiziert, die selbst divers und multikulturell ist, die liberal ist und das „anders sein“ als Leitkultur pflegt und nicht als Feindbild hat. Da wirkt ein sicherlich zeitrelevantes Thema - Roma wurden etwa für Verbrechen während des Nationalsozialismus bis heute nicht entschädigt - auf seltsame Weise plötzlich antiquiert. Das Gorki-Theater hätte die Roma in die Mitte der Gesellschaft rücken können, stattdessen wirken sie auf seltsame Weise der allgemeinen Unterhaltung preisgegeben. Aber vielleicht kann man es auch ganz anders sehen!