Alpensaga mit Walküren
Dass selbst auf kleinen deutschen Bühnen die größten Brocken des Musiktheaters wie Wagners Ring aufgeführt werden, ist nicht neu - wohl aber, dass ein Regisseur sich des Dichter-Komponisten Segen holte, um die gigantische Tetralogie über das Scheitern von germanischen Göttern und Helden als Alpenepos wie eine TV-Serie zu inszenieren. "Das Rheingold, sagt Richard, hat diesen Vorzug, dass es wie ein Bauernprozess klar uns Wotans Schuld und Verhängnis darstellt und die zwingende Notwendigkeit seiner Weltentsagung", notierte Cosima Wagner in ihren Tagebüchern. Paul Esterhazy verlegt darum auch den zweiten Teil der 17-stündigen Tetralogie (und voraussichtlich ebenso Siegfried und "Götterdämmerung bis zum 100-jährigen Jubiläum des Oldenburgischen Staatstheaters 2020) in die Alpen, wo Wagner den "Ring" bekanntlich großenteils komponierte.
Verblüffend natürlich bietet diese Alpensaga auf der Drehbühne von Ausstatter Mathis Neidhardt Wagners pathetischer Mythologie Paroli. Der schlanke Orchesterklang unter Oldenburgs estnischem GMD Hendrik Vestmann unterstreicht die bis heute gültige Psychologie hinter der hochromantischen, opulenten Partitur.
Hatten die Rheintöchter im Rheingold noch in Dirndln in der Waschküche die schmutzige Wäsche ihrer bäuerlichen Herrschaft gewaschen, so ruft nun Brünnhilde ihr "Hojotoho!" wie einen Jodler aus dem Küchenfensterchen der hölzernen Bauernkate in die Berge. In der Räucherkammer liegen in mehrstöckigen Regalen die Kadaver des gejagten Wildes und werden von den Töchtern des Gutsherrn mit scharfen Metzgermessern zum Verzehr vorbereitet.
Alles gut. Nur die Hausherrin hat "so'nen Hals" (Kröpfe sind in den Alpen ja nichts Ungewöhnliches). Schrill bricht sie einen Ehekrach vom Zaun, der den immer wieder treulosen Gatten schachmatt setzt. Wenn immer und was immer schief läuft: Urmutter Erda huscht tief verschleiert und stumm vorbei. Auf der Alpenalm spukt's!
Wo erst Herr Hunding hauste, residieren später die Götter.
Wie um eine Filmspule gedreht, rollt Stube nach Stube, Schauplatz nach Schauplatz sich um die Weltesche. Wo erst Siegmund rastet - an Hundings Steinofen, den die angekettete Sieglinde brav mit Holzscheiten füttert - darauf legt sich nach Wotans Verdikt Brünnhilde zum jahrelangen Schlaf nieder. Wotan muss auf den kleinen Hocker steigen, um ihr zum Abschied die Hand zu reichen. Traurig hockt Grane - ein buckeliger Greis auf zwei Krücken - daneben und hört auf, Brünnhildes Stiefel zu wienern. Loge, der kecke Tiroler Postbote, verteilt die glühenden Kohlen aus dem Ofen auf dem Boden und lässt's zum "Feuerzauber" ordentlich qualmen. Zum letzten Mal schließen sich über den letzten Klängen die beiden Hälften der Hausfassade..... Trotz mancher alberner oder misslungener Details, ist Esterhazys Ansatz durchaus originell und stimmig.
Eindrucksvoll bewältigt nicht nur das Staatsorchester die hohen musikalischen Anforderungen, sondern auch die Solisten. Aus dem Ensemble konnten die Walküren wie auch wieder die zickige Fricka (Melanie Lang) besetzt werden. Zoltán Nyári gibt als Siegmund ein darstellerisch erfrischendes, stimmlich mehr als angenehmes Siegmund-Debüt wie auch Nadja Stefanoff (Sieglinde mit Kanarienvogel-Käfig), die sich bestens als Wagner-Sängerin empfiehlt. Pavel Schmulevich leiht dem hinkenden SS-Hunding (mit Schäferhund) seinen ebenmäßig sonoren Baß.
Die Wagner-erfahrene Nancy Weißbach profiliert sich darstellerisch wie stimmlich hinreißend bei ihrem Debüt als Walküren-Brünnhilde. Makellos präsentiert Michael Kupfer-Radecky (vielen NRW-Freunden sicher noch bekannt aus seiner Zeit in Krefeld-Mönchengladbach oder als Preisträger der Bertelsmann-Stiftung), seinen kultivierten Bariton bei diesem Debüt als Walküren-Wotan.
Dass so viele wirklich große Sänger neue Partien gern an kleineren Häusern ausprobieren, gehört ebenso zum Geheimnis der überragenden Qualität großer Oper in der Provinz wie die weitaus größere Experimentierfreudigkeit dieser Bühnen. Die Vorfreude auf die Fortsetzung und Komplettierung des Oldenburger "Rings" ist berechtigt.