Macht und Widerstand im Berlin, Deutsches Theater

Drama in der Endlosschleife

Ist man noch Herr über sein eigenes Leben, wenn einem die Erinnerungen genommen werden? Autor Ilija Trojanow - mit sechs Jahren verließ er Bulgarien - zeichnet in seinem Buch Macht und Widerstand das düstere Bild einer Gesellschaft nach dem Sozialismus nach, denn nach dem Regierungswechsel 1989 bleiben die Profiteure der Macht dieselben - und ein perfides Spiel um die Deutungshoheit der Geschichte und eigene Lebenslinien, Schuld und Verantwortung beginnt.

Es ist ein mächtiges Buch, teilweise sperrig, angereichert mit Zeitdokumenten, an dem Trojanow zwanzig Jahre gearbeitet haben soll und das es schon seit einiger Zeit in der Bühnenfassung von Dušan David Parízek gibt. Der Anarchist Konstantin - er wird als Hero mit Leidenschaft und fragilen Zwischentönen von Samuel Finzi dargestellt - ist gebeutelt von der Zeit, in der er lebt und die er nicht akzeptieren will. Zehn Jahre saß er in Bulgarien ein: Einen Anschlag auf ein Stalindenkmal hat er begangen; kein Mord, kein Attentat und dennoch ist es eine unverhältnismäßige Strafe, die ihn ereilt - Lager, Schläge, Psychoterror sind die Antwort der Machthaber auf das Infragestellen vorhandener Zustände.

Die Einrichtung als Bühnenstück funktioniert, weil die Dialoge dicht sind, die Emotionen unmittelbar entgegentreten. Finzi schafft es immer wieder, dem Konstantin harte Kanten, Glaubwürdigkeit und Komplexität zu geben, denn es ist eine Figur, die scheitert: am eigenen Anspruch, am Entgegenschlagen von Ignoranz und Unverständnis derjenigen, die ihn umgeben, die kein Verständnis haben für Konstantins ewiges Suchen nach Gerechtigkeit. Als Gegenstück zum idealistischen Konstantin hat Trojanow den Systemgewinner Metodi angelegt, der am Deutschen Theater als schmieriger Arsch von Markus John ausgestaltet wird. Er ist Konstantins Peiniger, der auch im neuen System nahtlos an seine exponierte Stellung anschließen kann. So bleiben die Opfer Opfer und die Täter Täter - der Widerstand verhallt irgendwo zwischen Aktenstapeln und Angepasstheit.

Es ist eine zynische Welt, die Trojanow entwirft und die deshalb aufrüttelt, weil sie genau die Mechanismen nachzeichnet, die wir alle benennen können und die dennoch Wirklichkeit sind. Die Fragesteller, die Unbequemen, die Aufrechten werden gebrandmarkt als ewig Gestrige, als jemand, der nicht loslassen kann, der stagniert. Auf einmal wird „aufrechte Haltung“ als „Arroganz“ gebrandmarkt: „Das Opfer sucht in den geöffneten Archiven den Abgleich mit seinen Erlebnissen. Es ist die Suche nach seiner verlorenen Vergangenheit. Doch es trifft auf ein organisiertes Verleugnen durch Löschung oder Verfälschung der Dokumente. Die Hoffnung, dass mit dem Sturz des Systems auch das Deutungsmonopol der Vergangenheit zu Ende gegangen sei, wird enttäuscht“, schreibt das Deutsche Theater zum Plot.

Bittere Erkenntnisse, die Trojanow offenlegt: „Wie kann es denn sein, so viel Leid, dass keiner darüber schreibt?“, heißt es an einer Stelle des Stückes, und so bleiben die Figuren gebrochen (in weiteren Rollen und ebenfalls überzeugend: Sarah Franke und Henning Hartmann), weil es keine Gerechtigkeit gibt - weder im Gestern, noch im Jetzt.