Rigoletto als Jude
Mit einem Erfolgsgaranten der italienischen Oper lockt Osnabrücks Intendant Ralf Waldschmidt sein Publikum nach der Sommerpause zurück ins Theater. Rigoletto ruft bei jedem Opernfreund sofort musikalische Ohrwürmer wach - an erster Stelle natürlich die Ballade des Herzogs „La donna è mobile...“, aber auch die Flüster- und Gewitterchöre sowie auch Rigolettos Verzweiflungsarie nach der Entführung der Tochter oder Gildas naiv liebesverträumte Arie. Dieses erste Welterfolgswerk des Italieners zeichnet sich insbesondere durch die Männerchöre und die charaktervollen Duette der so gegensätzlichen Protagonisten aus. Sie kulminieren kurz vor dem tragischen Ende mit dem Quartett der beiden Paare Rigoletto-Gilda und Sparafucile-Maddalena. Meisterhaft gelangen Verdi die Orchesterpassagen, die neben der Zeichnung plastischer Naturstimmungen auch deutliche psychologische Akzente setzen (wie das Quartett auf den Spuren von Mozart).
Bei der Umsetzung dieser musikalischen Finessen blieb das Osnabrücker Symphonieorchester unter GMD Andreas Hotz bei der Premiere einiges schuldig. So beginnt schon die Ouvertüre mit Blechbläsersoli so zaghaft und zögerlich, als fürchte man sich vor dem dramatischen Gemälde, das diese Musik zu zeichnen anhebt. Aber der prächtige, große Männerchor, einstudiert von Markus Lafleur, triumphierte an diesem Abend gesanglich wie auch darstellerisch - Wachs in den Händen des temperamentvollen Multitalents Adriana Altaras, Autorin von Titos Brille, die in Osnabrück als Regisseurin schon mit Anatevka und Carmen reüssierte. Unerschrocken, aber doch reichlich plakativ hievt sie das Sujet aus dem 16. Jahrhundert in unsere Zeit. Da treiben die Gäste eines wohlhabenden Lebemanns es treppauf und treppab über alle Etagen seiner betörend schönen Jugendstilvilla schrill und gay. Der buckelige Narr wird zum orthodoxen Juden mit Kippa und Tallit (die er bei Dienstantritt in die Jackentasche stopft) als linkischer Entertainer in Diensten des Hausherrn. Die Höflinge verlachen ihn, indem sie ihm mit Kippa gegenübertreten. Der lüsterne Herzog von Mantua mutiert zum Palästinenser.
Wer Freund, wer Feind ist, wer mitspielt und wer Außenseiter ist - das macht Altaras also politisch motiviert fest. Nur leidet ihre Idee unter erheblichen Mängeln in der Personenführung. Weder kommt der Herzog als leichtlebiger Schönling (aus dem politischen Feindeslager) über, noch Rigoletto als intellektueller, bissiger Außenseiter. Gilda - ganz in Weiß und mit Brille als unfertiger Teenager, die mit Giovanna einen Waschsalon betreibt und nach dem Tête-à-tete mit dem Herzog ganz offen im Beisein des Vaters seinen Anorak und Palästinenserschal trägt - das sind Chiffren, die nicht wirklich greifen.
Für die Solisten ist diese Oper an einem mittelgroßen Haus immer eine Herausforderung. Bei der Generalprobe musste der Herzog passen. Als Retter der Premiere eilte der erfahrene Mexikaner Pedro Velázquez Diaz aus Linz herbei, der die Partie (unter anderem) dort schon 2012 sang und in ein paar Tagen wieder in der Premiere einer neuen Inszenierung auf der großen Bühne des oberösterreichischen Landestheaters stehen wird.
Für die noch junge australische Koloratursopranistin Erika Simons bedeutet das Debüt als Gilda eine immense Anstrengung. Entsprechend nervös setzte sie ungewöhnlich leise und unausgeglichen ein, steigerte sich im dritten Akt jedoch zu sicherer Ebenmäßigkeit ihrer schönen Stimme. Rhys Jenkins lieh der Titelpartie seinen kraftvollen Bariton. José Gallisa beeindruckte als Sparafucile mit vollem, sonorem Bass. Katarina Morfa bot eine zierliche Maddalena mit schlankem Sopran. Leonardo Lee (Graf von Monterone) musste merkwürdigerweise als Schotte auftreten, überzeugte aber mit ebenmäßiger Stimme.
Etienne Pluss verlegt das Geschehen in einen riesigen Kubus mit Neonleuchtleisten entlang der Kanten, dessen Seiten sich zu Räumen öffnen oder mit riesigen Gemälden als Rückprospekt für narrative Szenen dienen. Seitlich treten Choristen und Bühnenmusiker auf. Die ästhetische Stilisierung zeigt an, dass hier Theater gespielt wird. Aber die Idee der Regisseurin, den Nahost-Konflikt zu thematisieren, bleibt im Konzept hängen, ohne sich zum schlüssigen Drama unserer Gegenwart zu entfalten.