Versetzung im Berlin, Deutsches Theater

Stolpern über Schwächen

Was tun, wenn der Kopf Kapriolen schlägt? Depressionen, obwohl eine Krankheit wie jede andere, gelten auch gegenwärtig als Makel des Individuums in einer auf Leistung und Glück programmierten Gesellschaft. Der Mensch, er hat zu funktionieren. Der Autor Thomas Melle hat seine eigene manisch-depressive Erkrankung zum Thema seines Lebens gemacht; in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ gelang ihm ein Riesenerfolg - der offensive Umgang mit den eigenen, vermeintlichen Schwächen brachte Melle eine Menge Respekt ein. Nun hat er im Auftrag des Deutschen Theaters in Berlin die Depression in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gerückt, der ebenso profan wie unglücklich ist: Die Depression, sie schwebt wie eine bedrohliche Prophezeiung über dem Protagonisten Ronald Rupp.

Der Mann ist ein einziges Klischee, das von Daniel Hoevels straff und manchmal mit etwas zu wenig Abgründigkeit und Morbidität ausgefüllt wird. Hoevels wird von Kostümbildnerin Carolin Schogs in einen Alptraum aus Beige und Bügelfalte gesteckt. Rupp ist ein Lehrer wie aus dem Bilderbuch, engagiert, gerade und auf dem besten Weg Direktor zu werden. Das scheinbare bürgerliche Leben komplettiert Ehefrau Kathleen (gespielt von Anja Schneider als ebenfalls klischeehaftes Fräulein) und ist, was schnell klar wird, lediglich Fassade.

Das Agieren von Rupp, es ist zu glatt, zu einfach, zu angepasst, um glaubhaft zu sein. Die Gesellschaft in der er sich bewegt, rahmt ihn zwar, aber ist nicht das, was ein sich am Stolpern befindlicher Charakter bräuchte. Denn auch in der scheinbar beschaulichen Welt eines Lehrer-Daseins sind Intrigen und Missgunst nicht weit. Die smarte Regisseurin Brit Bartkowiak, die Rupp mit Gespür für Spannung und zwischenmenschlich komplizierte Situationen durch ein Labyrinth aus Elternrat (Michael Golberg) und irre Schülermutter (Birgit Unterweger) schickt, inszeniert den Fall des Rupp mit einer gehörigen Portion Dramatik (in weiteren Rollen: Helmut Mooshammer, Judith Hofmann, Christoph Franken, Linn Reusse, Caner Sunar).

Die Krankheit bezieht Melle intelligent in das Stück ein, indem er seinen traurigen Helden Sätze missverstehen lässt, später kann er nur noch in Versen und Sonetten sprechen, das kommt dicht und verstörend daher - und absolut schonungslos. Ein Mensch im freien Fall. Am Deutschen Theater hier und da pointiert mit zynisch-irritierenden Musikeinlagen (Joe Masi), die ruhig üppiger und irgendwie eingebundener hätten ausfallen dürfen.

Nun, was will der zeitgenössische Autor Melle seinem Publikum mit diesem aktuellen Stück aufzeigen? So genau weiß man es nicht, denn die Verstrickung des Ichs in eine ebenfalls kranke Gesellschaft wirft Fragen auf. Nach dem Zusammenhang zwischen Krankheit und Umständen (dazu können Mediziner schon einiges sagen). Nach Verständnis für den Umgang mit dieser Krankheit (sind wir da nicht, nach Robert Enke, schon viel weiter als es Melle darstellt?). Jedenfalls: dozierend kommt das Stück nicht daher, dafür sorgt Bartkowiak, die durchaus weiß, wie man Humor herausarbeitet und sich als Regisseurin übrigens ebenfalls in aktuelle Debatten einmischt: Sie fordert eine Frauenquote an deutschen Theatern.