Beute Frauen Krieg im Schauspielhaus Zürich

Frauen als Opfer und wohlfeile Kriegs-Beute

Sie liebt es, Stücke „nach“ Kleist, „nach“ Euripides, kurz: „nach“ großen Klassikern auf die Bühne zu bringen. Sich ihrer zu vergewissern und dabei doch ihren ganz eigenen Intentionen zu folgen. Nun griff Karin Henkel nach Euripides und macht uns einmal mehr mit einer Tragik vertraut, die uns bis heute gefangen hält. Denn bereits die Griechen bemühten sich fauler, wenn auch genialer Tricks, andere auf die Verliererstraße zu versetzen. Einem Holzpferd haben es die Frauen Trojas zu verdanken, dass sie sich nicht nur, wie ihre getöteten Männer, auf der Verliererseite wiederfanden. Sie wurden lebende Beute geiler Sieger, Sklavinnen und pure Ware. 

„Beute Frauen Krieg“, Karin Henkels Zyklus „nach“ Die Troerinnen und Iphigenie in Aulis von Euripides klingt so frisch und aktuell wie einst. Bereits die Anfangs-Szenerie in der riesigen „Schiffbau“-Halle des Zürcher Schauspiels ist eindrucksvoll. Umgeben von vier Zuschauerblöcken, erstreckt sich die Spielfläche, eine Mischung aus hölzernem Laufsteg und Bar-Atmosphäre, über den weiten Raum der Halle. In ihr bewegen sich, noch unerkannt und beziehungslos, die Akteure, die später das Spiel bestimmen. Verstört wirken sie, ziellos. 

Wir bekommen Kopfhörer, aus denen, lange vor Beginn der Tragödie, Wort- und Satzfetzten Trojas Schicksal beschwören. „Gib mir meine Kinder wieder!“, dringt uns quälend ins Ohr. „Alles fraß der Krieg“. Versatzstücke sind’s, ehe die ganz große Klage beginnt. Hekabe (Lena Schwarz) stimmt sie an, die alte Königin des zerstörten Troja. „Mein Leid!“, sind ihre letzten, sich vielfach wiederholenden und zum Schrei anschwellenden Worte.

Noch ist die Szene für alle Zuschauer die gleiche. Wenig später - und das Allgemeine neigt sich ins Besondere. Zwei Stoffwände senken sich von oben herab und trennen den Raum in drei Teile, innerhalb derer sich synchron von nun an unterschiedliche Szenen abspielen. Andromache (Carolin Konrad), das Geschehen um (eine verdoppelte) Helena, und das Schicksal Kassandras (Dagna Litzenberger Vinet) stehen im Mittelpunkt. Um alle Facetten des Abends zu erleben, wechseln wir die Blöcke, sehen und hören, zeitlich und räumlich versetzt, das ganze Leid in Details, Anklagen und großen Klagegesängen. Nach der Pause, wenn Iphigenies Schicksal beschworen, zudem die Brutalität und vermeintliche Logik des Krieges der Griechen mit den Trojanern in packenden Gewissenskämpfen ausgetragen wird, ist die Szenerie wieder für alle Zuschauer die gleiche.

„Ihr habt die Hölle erschaffen!“, wirft Kassandra Agamemnon (Michael Neuenschwander) an den sturen Schädel. Und aus fast jeder Szene und verbalen Äußerung grinst uns auch die Jetztzeit an, in der, wie schon immer, die Anderen die Schuldigen sind. Westliche Werte? Sie waren schon immer reines Agitationspulver zur Vernichtung anderer. Karin Henkels Euripides-Paraphrase ist eine glänzende, tief unter die Haut gehende Mahnung. Denn Troja, so erfahren wir in einer der letzten Szenen, war „nur der Beginn aller Gräuel“. Langer, sehr intensiver Applaus nach einem außergewöhnlichen Theaterabend.