Übrigens …

Der Tag, als ich nicht ich mehr war im Deutsches Theater Berlin

Doppelte Wirklichkeit

Eine poetische Farce auf das Sein, die Irrelevanz der eigenen Identität und die Spielchen, die uns das eigene Bewusstsein bereitet, hat der bekannte Autor Roland Schimmelpfennig als Auftragsarbeit für das Deutsche Theater in Berlin gezaubert. „Der Tag, als ich nicht ich mehr war“ heißt das dichte und psychisch geschickt aufgebaute Stück, das uns zum Nachdenken über das Sein und Nicht-Sein anregt.

Ja, das ist so eine Sache, mit dem Leben an sich, den eigenen Träumen und dem Alltag, den sich jeder Mensch irgendwann auf den Leib geschneidert hat und bei dem er oder sie sich ab und zu fragt: Ist es das, was ich eigentlich möchte? Das Leben im Konjunktiv, eine zutiefst menschliche Angelegenheit, und das Verstreichen von Optionen ist den meisten Menschen geläufig. Regisseurin Anne Lenk schickt zum Entree drollige Fabelwesen auf die Bühne. Das Märchen beginnt und es erzählt von einem Mann und einer Frau, die einander längst überdrüssig geworden sind. Der Mann heißt folgerichtig im Programmheft auch nur „der Mann“ und wird von Camill Jammal im langweiligen Spießeroutfit als stereotypisiertes Menschlein gegeben. Schimmelpfennig entspinnt aus dieser Figur ein zweites ich, das von Elias Arens als coolere und interessantere Variante des einschläfernden Pantoffelhelden gegeben wird. Ihm zur Seite steht seine Frau, die von Franziska Machens als hohles Ding ausstaffiert wird und der ebenfalls eine zweite, frivolere und originellere Variante entschlüpft: Die wird von Maike Knirsch am Ende bis hin zur vampähnlichen Hausschlampe stilisiert. Ebenfalls mit am Küchentisch und irgendwie auch mehr Staffage, Tochter und Sohn: Tabitha Frehner und Jeremy Mockridge.

Das Märchen von der glücklichen Familie nimmt Schimmelpfennig gehörig aufs Korn und spielt mit den Assoziationen. Vielleicht wirre Träume und sexuelle Phantasien des ersten, spießigen Selbstbetrugs sind dann zu sehen. Die Figuren drehen sich in ihrer zweiten Variante um die erste, veralbern diese und necken am wohl geordneten Familientisch die Protagonisten, wenn sie nackt durch die Kulisse huschen.

Dann wird das Träumen zum Alptraum und das Fliehen in ein zweites, interessanteres Leben zur Folter, die sich die Figuren selbst erschaffen haben. Schimmelpfennig hält den Zuschauern den Spiegel vor, und wir, das brave Premierenpublikum, dürfen bei der Gelegenheit über unser zweites Ich nachdenken. Auch ohne Bühne und Märchenwald.