Übrigens …

Klassenbuch im Berlin, Deutsches Theater

Auf den Spuren der Unschuld

Eigentlich wissen wir doch alles über die Jugend. Sie trägt bevorzugt Markenklamotten, raucht ab und an Joints und im Osten wählt sie gerne die AfD. Ganz so einfach ist es dann offenbar doch nicht, meint der bekannte Autor John von Düffel und macht sich in seinem Text Klassenbuch auf die Suche nach den Extremen. Klar, schaut man etwas genauer hin, so hat von Düffel natürlich recht: Es gibt sie, die Hochbegabten, die Depressiven, die Prahler. Aber es gibt auch die anderen: die, die sich politisch engagieren, soziale Jahre machen oder Flüchtlingen helfen - diese kommen bei von Düffel nicht vor und so zeichnet er ein etwas eindimensionales Bild von der Jugend.

Vielleicht, so mag man meinen, wenn man von Düffels Stück am Deutschen Theater ansieht, hatten es die Generationen früher einfacher: Die Familie gab den festen Rahmen vor, innerhalb dessen sich das Individuum entwickelte, Beziehungen hielten meist länger und überhaupt war die Wahl der Möglichkeiten begrenzt. Heute hingegen scheint alles möglich: Jugendliche können mit einem Klick Wissen organisieren, sind von klein auf mit Schönheitsidealen konfrontiert, Eltern pushen den Nachwuchs gerne zu Höchstleistungen, und der Druck der Wirtschaftswelt macht auch vor den Schultoren nicht halt. Das Ergebnis daraus sind vielschichtige, teils gebrochene Charaktere. Im Klassenbuch heißen sie Annika: Jannika Hinz, Bea: Tara Helena Weiss, Cem: Franz Jährling, Emily: Noemi Clerc, Erik: Noah Tinwa, Henk: Emil Kollmann, Lenny: Bjarne Meisel, Li: Alexander Dam, Malte: Paul Stiehler, Nina: Linda Hügel, Stanko: Pepe Röpnack, Vanessa: Lina Bookhagen, Tarek: Cedrik Eich. Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler dieser Inszenierung (mit viel Gespür für eine Atmosphäre der inneren Zerrissenheit und skurrilen Situationen führt Kristo Sagor Regie) bringen die Tonalität einer irrenden Jugend auf den Punkt.

Das Deutsche Theater erklärt zu Plot und Idee: „In einem düsteren Kosmos aus unterschiedlichen Filterblasen erzählt John von Düffel in Monologen und Mails von den Leiden an einer digitalen Adoleszenz“. Da sind beispielsweise Annika und ihr kleiner Bruder, die tote Tiere von der Straße sammeln, oder das pummelige Mobbing-Opfer Vanessa - sie bastelt sich online eine schöne, schlanke zweite Identität.

Ziemlich verloren klingt das alles. Und ist es auch. Dennoch wecken die Charaktere Sympathien, und der Gedanke bleibt, wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt: Denn die Jugend ist ja bekanntlich unsere Zukunft. John von Düffel hat ein relevantes Thema identifiziert, auch wenn ein Perspektivwechsel fehlt.