Die verkehrte Frau
Wie war das mit der Deutungshoheit? Stimmt, die war und ist bekanntlich in männlicher Hand, Angela Merkel vielleicht einmal ausgenommen, auch wenn sie - wiederum männlicher Blick - von so manchem Macho-Politikredakteur jede Weiblichkeit abgesprochen bekommt, zumal dann, wenn sie sich mit ihrem Gatten in Bayreuth einen netten Opernabend machen will und ein Kleid anzieht, was dann durch den Kakao gezogen wird. Aber nicht abschweifen!
Medea, urtypisches Bild des wütenden Weibes, hat der Mythologie zufolge einiges auf dem Kerbholz: Aus verletztem Stolz tötet sie sogar ihre eigenen Kinder. Die Autorin Christa Wolf sagt: „Ich konnte das nicht glauben“ und rehabilitiert Medea mit ihrem 1996 erschienenen Roman Medea. Stimmen. Ausgangspunkt für Wolf war die Verbindung zu einer Altertumswissenschaftlerin aus Basel - diese hatte publiziert, dass erst die Version des Euripides Medea zur Kindsmörderin macht. Im Gegenteil hätten frühere Quellen Rettungsversuche der Medea für die Kinder geschildert.
„Sie können sich meine Erleichterung vorstellen, dass ich diese Veränderung einer über Jahrtausende als Kindsmörderin ins abendländische Bewusstsein eingegrabenen Gestalt nicht zu erfinden brauchte - obwohl natürlich eine Reihe von Kritikern voraussetzt, ich hätte das getan.“
Die Deutungshoheit der Welt soll bekanntlich irgend etwas mit Objektivität zu tun haben. Aber gibt es die, wenn manche Männer Frauen deckeln und degradieren, und das bei manchen Frauen ins Gegenteil umschlägt, wie bei Wolf? Diese sympathisiert derartig mit Medea, dass die Frage aufkommt, ob hier nicht ebenfalls ein falsches, weil in seiner Umkehrung der Täter- und Opferrollen einseitiges Bild einer Frau gezeichnet wird, die, eigentlich Heilerin und Magierin, den Zorn ihrer Umwelt auf sich zieht und zum Sündenbock abgestempelt wird.
Am Deutschen Theater haben Tilmann Köhler und Juliane Koepp den Text von Christa Wolf strukturiert, aber bei 2.20 Stunden Spieldauer eventuell noch etwas mehr auf den Punkt bringen können. Das Bühnenbild von Karoly Risz ist irre: Eine in die Tiefe des Raumes führende Wasserfläche dient den Schauspielerinnen und Schauspielern als Spiegel, in dem sie sich präsentieren. Die Figuren stehen durchnässt da und das führt beim Zuschauer unweigerlich dazu, die Worte noch ernster zu nehmen, die Geschichte noch eindringlicher zu erfahren - denn, welche inneren Kämpfe müssen zugrunde liegen, wenn man in einer derartig unbehausten Welt mit sich und seinen Sätzen ringt?
Maren Eggert leidet als Medea und ist in der Inszenierung von Tilmann Köhler Spielball herrschender Umstände, und ein eigensinniger Charakter. Eggert verleiht der Medea Intensität, und es ist ein wirklicher Genuss ihr zuzuschauen, gerade weil ihre Darstellung die Figur verstörend bis berührend auslotet.
In weiteren Rollen brillieren: Edgart Eckert, Lisa Hrdina, Helmut Mooshammer, Thorsten Hierse, Kathleen Morgeneyer, Johanna Kolberg.
Tja, und zuletzt bleibt die Frage, wie viel Objektivität die Inszenierung den Zuschauern offeriert? Das muss dann wohl jeder selbst entscheiden.