Belcantowonnen
La Donna del lago ist eine seltene Pretiose auf den Musiktheaterbühnen dieser Welt. Doch steht sie in der belcantoaffinen wallonischen Kapitale seit 2003 bereits zum zweiten Mal auf dem Spielplan, nun in Koproduktion mit dem Rossini-Festival in Pesaro. Das hat besten Grund. Rossinis 1819 in Neapel uraufgeführte Oper ist ein Wurf, der durch seinen massiven Chorsatz, ein oft dramatisches Orchester und solistische Aufgaben, die über reinen Schöngesang hinausdrängen, schlagend beweist, dass Guillaume Tell nicht aus heiterem Himmel gefallen ist.
La Donna del lago beruht auf einem Versepos von Walter Scott, der hier zum ersten Mal den Plot für eine Oper der italienischen Romantik liefert. Die Handlung ist im Schottland des 17. Jahrhunderts angesiedelt. Dort wird König Jakob V. durch eine Adelsrevolte angefochten. Im Mittelpunkt steht Elena, eben die Frau vom See, in die sich sowohl der Monarch als auch die beiden Anführer der Adelsfronde verlieben. Weil der König großmütig verzichtet und der ungeliebte Revolteur in der Schlacht bleibt, endet das Ganze für Elena glücklich. Sie erhält ihren Wunschkandidaten Malcolm.
Regisseur Damiano Michieletto führt in der wechselnden Abfolge lyrischer und martialischer Bilder die Figurenkonstellationen prägnant und sinnfällig vor Augen. Reibungslos und immer musikalisch begründet wachsen die gemäldehaften Arrangements der Szenen auseinander hervor. Reflektiert wird die Binnenhandlung durch einen von Michieletto hinzuerfundenen Rahmen, der Elena und Malcolm als Greisenpaar zeigt, das in seine je eigenen Erinnerungen versunken ist. Die ganze Oper gestaltet sich so zu einer einzigen Reminiszenz.
Die Bühne öffnet den Saal in Elenas schlossähnlichem Refugium am See. Der Krieg zwischen Adel und König hat das Gebäude arg ramponiert. Die Decke zum oberen Stockwerk ist bis auf die Randzonen fortgesprengt. Putz und Farbe bröckeln von den dahin schimmelnden, in vielfältigen Grautönen gehaltenen Wänden. Der Uferbewuchs des Sees beginnt vom Domizil Besitz zu ergreifen. Keine Frage, Paolo Fantins Bühnenbild deutet bei aller Historizität auch auf gegenwärtige Bürgerkriegssituationen.
Zwar bemüht Klaus Bruns keine schottische Folklore, doch mit wallenden Langmänteln und hohen Stiefeln für die Herren ein wildromantisches 17. Jahrhundert irgendwo zwischen Puritani und Freischütz.
Stilistisch untadelig und auf nobler Linie bewährt Pierre Iodice mit dem Chor der Opéra Royal de Wallonie eher belcanteske als dramatische Qualitäten.
Wo immer angebracht packen Michele Mariotti und das innerlich befeuerte Orchester der Königlich Wallonischen Oper durch affektgeladene Verve. Was Dirigent und Klangkörper nicht hindert, von Fall zu Fall auf rhythmisch-federnde Eleganz umzuschalten.
Die Zusammenstellung des hochkarätigen Solistenensembles bezeugt allein bereits durch die vollendete Auswahl der Stimmfarben staunenswerte Kompetenz. Salome Jicia in der Titelrolle vereinbart raumgreifende warm timbrierte Fülle und Koloraturgeläufigkeit. Zum Ereignis wird Marianna Pizzolato als Malcolm. Pizzolato führt ihre Stimme rein instrumental. Ihre Koloraturkaskaden würden Arthur Schopenhauer entzückt haben, hätte sich der Philosoph doch in seiner Auffassung des Rossinischen Opernschaffens als absolute Musik bestätigt empfunden. Die beiden Tenöre setzen sich hervorragend voneinander ab. Maxim Mironov singt Giacomo V. auf schlanker, leicht ansprechender und eleganter Linie. Sergey Romanovsky verkörpert den adeligen Haudegen Douglas mit bronzierter Mittellage, der er stupend-strahlende Höhen aufsetzt. Simón Orfila gibt den schottischen Renegaten Douglas, den Vater der Titelfigur, mit zwar versiertem doch allzu routiniertem Bass.
Starker Applaus im sehr gut verkauften Haus, von dessen Deckengemälde Rossini wohlgefällig auf sein Werk herab blickt.