Teuflisches Spiel
„Da hast Du aber ganz schön Deine Seele verkauft“ - diesen Spruch kennt man, wenn einem vorgeworfen wird, gegen die eigenen Ansprüche gehandelt, seine eigenen moralischen Regeln verletzt zu haben. Doktor Faust ist so einer, der seine Seele verkauft. An Mephistopheles. Aber was der Alltagssprachgebrauch „nur“ im übertragenen Sinne meint, passiert dem wundersamen Doktor Faust ganz real, jedenfalls in den uralten Sagen, Legenden, Erzählungen, die über den vermeintlichen oder offensichtlichen Scharlatan seit mehr als 500 Jahren transportiert werden. Die eigene Seele zur Verhandlungsmasse zu machen, um im Gegenzug grenzenlose Macht ausüben zu können, alles zu bekommen, was man sich wünscht, führe der Weg auch über Leichen - das ist Faustens Movens, den Pakt mit Mephistopheles einzugehen.
Ferruccio Busoni entwirft für seine Oper Doktor Faust, kurz nach dem Tod des Komponisten 1925 in Dresden uraufgeführt, eine schillernde, kraftvolle, hier harte, dort sanfte, mal melancholische, mal perkussive Musik, der Andreas Hotz am Pult des Osnabrücker Symphonieorchesters mit enormer Suggestivkraft Ausdruck verleiht. Das gelingt ihm wirklich ganz großartig und Busonis Kompositionsprinzip geschlossener autonomer musikalischer Formen wird ohrenfällig deutlich. Klanglich scheint Busoni mitunter zu antizipieren, was dann erst zwanzig, dreißig Jahre später in der Musikszene aktuell sein wird. Nur ein Beispiel: an einer Stelle klingt Busoni wie Benjamin Brittens War Requiem - erstaunlich!
Erstaunlich ist aber das gesamte, fast dreistündige Klanggeschehen aus dem Orchestergraben, weil es seine ZuhörerInnen in jedem Moment packt und kaum einmal loslässt. Dies gilt nur bedingt für die Arbeit der Regisseurin Andrea Schwalbach. Sie lässt sich von der Tatsache inspirieren, dass Busoni nicht so sehr Goethes Faust bei der Entwicklung seiner Oper im Hinterkopf hatte, sondern weitaus ältere Texte, die Grundlage für Puppenspiele waren. Und so erscheinen auch immer wieder Puppen auf der Bühne: Gretchen beispielsweise, oder beim Hochzeitsfest zu Parma der biblische König Salomon nebst der Königin von Saba. Das sieht ganz nett und lustig aus, hat aber keinen erhellenden Nährwert. Wie überhaupt viel, sehr viel gespielt wird, aber wenig interpretiert. Die Ausstattung kommt mit einem knappen Dutzend Sitzgelegenheiten aus, einem Teewagen und zeitweise einem irre langen Tisch, der zum Hochzeitsbankett vom Schnürboden herabschwebt - genauso wie diverse Vorhänge, die Stimmungen erzeugen sollen. Mal ist‘s ein röhrender Hirsch, mal die edle Tapete eines vornehmen Herzogshauses, mal ein knorziger Wald. Das alles stört nicht, wirkt aber doch irgendwie sehr abziehbildhaft. So wie die Personenführung. Je nach Situation werden gedankenschwer Köpfe gewogen, Hände klagend vom Körper gestreckt, wird wuselig hin- und hergelaufen, die Champagnergläser geleert oder geschäftig in alten Büchern herumgeblättert. Ein bisschen bleibt der schale Geschmack von Beliebigkeit, auch in den großen Chorszenen wie jener in der Wittenberger Schenke mit den lebhaft diskutierenden katholischen und protestantischen Studenten, deren Streit doch etwas aufgesetzt daherkommt.
Aber es wird fabelhaft gesungen in Schwalbachs Inszenierung. Vor allem von Jürgen Müller als Mephistopheles, dem man sein böses Spiel in jedem Augenblick abnimmt. Er hat das notwendige Quentchen an Teuflischem, was seine schauspielerischen Qualitäten angeht. Und er hat einen durch und durch präsenten, energiegeladenen Tenor. Bis hinauf in höchste Höhen schickt Busoni ihn, was Müller strahlend meistert, ohne je forcieren zu müssen. Rhys Jenkins ist der Doktor Faust - auch er überzeugt stimmlich mit kernigem und farbenreichem Bariton, bleibt aber in darstellerischer Hinsicht hinter der Glaubwürdigkeit seines teuflischen Verbündeten zurück. Besten Eindruck hinterlassen die kleineren Partien: Lina Liu als Herzogin von Parma, Mark Hamann als deren Bräutigam, Genadijus Bergorulko als Zeremonienmeister und Jurist (auch er ein erfrischend agierenden Darsteller). Die vielen weiteren Figuren kann das Theater Osnabrück aus dem eigenen Ensemble und mit Mitgliedern des Opernchores adäquat besetzen.
Ferruccio Busonis Doktor Faust in Osnabrück: gut, dass diese Oper dort gespielt wird! Zum einen, weil es sich musikalisch absolut lohnt, sie zu präsentieren. Zum anderen, weil Osnabrück sich auf ein aufgeschlossenes Publikum verlassen kann, das keine Angst vor wenig bekannten oder gänzlich unbekannten Stücken hat!