Übrigens …

Tristan und Isolde im Landestheater Linz

Heiner Müllers "Tristan" rekonstruiert

Groß war die Empörung - bis hin zum legendären Weltstar Waltraud Meier, Bayreuths langjähriger Isolde - über Heiner Müllers einzige Opernregie, seine Inszenierung von Tristan und Isolde 1993 auf Einladung von Festspielleiter Wolfgang Wagner. Ein Faux-Pas auf dem Weg von Wagners hochromantischen Musikdramen in unser Heute?

Der politisch linkslastige Autor und Ost-Berliner Schauspielregisseur gestand seine Überforderung selbst ein. Von Waltraud Meier während der Proben mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei nicht vorbereitet, gab er freimütig zu, die Aufgabe unterschätzt zu haben. Als Shakespearesches Königsdrama lässt sich Wagners Liebestragödie eben nicht „mal eben“ umfunktionieren. Was Müller wollte, welche Ansätze er sah, beschrieb er damals in Notizen, die seine eklatante Hilflosigkeit gegenüber einem Meisterwerk musikalischer Bühnengeschichte und der Vielschichtigkeit der Aufgaben von Opernsängern zeigen. Heraus kam eine abstrakte, statuarische Inszene der mittelalterlichen Liebestragödie in der hintergründig nüchternen Geometrie aus Albers-Quadraten von Bühnenbildner Erich Wonder, die nun - 25 Jahre später - als wunderbar respektvoll den musizierenden Künstlern entgegenkommend am Linzer Landestheater erlebt werden kann.

Die Oper Lyon hatte die Idee, Müllers Inszenierung zu rekonstruieren und beauftragte dessen damaligen Assistenten Stephan Suschke mit der „szenischen Leitung“. Der ehemalige Dramaturg ist unter dem neuen Linzer Intendanten Hermann Schneider Schauspieldirektor und holte das oberösterreichische Musiktheater ins Boot. Die Premiere im hochmodernen, eleganten Haus fand, mit Übertragung auf Videoleinwand im angrenzenden Volksgarten, zum Saisonauftakt 2018/19 statt und wurde vom Publikum als Triumph der Musik und der Musiker gefeiert. Die Niederländerin Annemarie Kremer - gefeiert als Chio-Chio San in Puccinis Madama Butterfly in Essen und Dortmund sowie als dessen Tosca dort - beeindruckt bei ihrem Rollendebut durch das gleichmäßig hohe Niveau ihrer schönen, intonationssicheren Stimme. Heiko Börner, ebenfalls gastierender Debütant in der Rolle des Tristan, muss haushalten mit seinem Stimmmaterial und fasziniert erst wirklich (in der besuchten Vorstellung) im letzten Akt. Dass die weiteren Rollen aus dem Linzer Ensemble besetzt werden können, spricht für das hohe Niveau des Theaters. Der Wiener Klemens Sander macht bei seinem Rollendebut als spontan eingesprungener Kurwenal beste Figur.

Markus Poschner, Nachfolger von Dennis Russell Davies als GMD des Bruckner-Orchesters in der oberösterreichischen Donaumetropole, hatte bereits in seiner ersten Saison, unter anderem mit Richard Strauss' Frau ohne Schatten, überzeugt. Dass er und das Bruckner-Orchester auch Wagner „können“, beweist diese Produktion. Sogar eine Horntrompete, die Wagner im 3. Akt ursprünglich einsetzte, kommt anstelle von Schalmei oder Oboe zum Einsatz. Die Lautstärke des Orchesters ist gerechtfertigt durch ein Wagner-Zitat, das den Sängern „ein gelegentliches Durchschimmern“ zubilligt.

Optisch verlässt sich Regisseur Heiner Müller völlig auf das sparsame Lichtdesign von Manfred Voss und die Bühnenbilder des bildenden Künstlers Erich Wonder. In zwei Kubikeln bewegen sich und verharren im ersten Akt die Paare Isolde-Brangäne vorn und Tristan-Kurwenal hinten. Im zweiten Akt mit dem großen Liebesduett geistern die Liebenden durch Reihen von Kriegerpanzern wie über einen Soldatenfriedhof als Symbol für die Basis dieser Konstellation: König Marke lässt sich die Tochter des Erzfeindes als Siegestrophäe zuführen. Dass es hier nur um Krieg und Frieden geht, nicht um Emotionen ist allerdings eher unglaubwürdig, zumindest unvollständige Motivation. Dominik Nekel (König Marke) besingt denn auch mit berückendem Legato den Verrat von Tristan in seinem berührenden Lamento. Über der verdunkelten Szene schwebt vorher ebenso eindrucksvoll die zweifache Warnung Brangänes an die Liebenden „Habet acht!“ Der Amerikanerin Katherine Lerner, neu im Linzer Ensemble, gelingt ein eindrucksvolles Rollendebut.

Eine graue Müllhalde mit grau verstaubten Gestalten dominiert den letzten Akt. Tristan stirbt - und wie berückend musikalisch! Hier zeigt Heiko Börner, was in ihm steckt. Dass nach seinem Tod Annemarie Kremer ihren „Liebestod“ ebenso kraftvoll, klangschön und sicher intoniert, ergänzt den musikalischen Höhepunkt eines eindrucksvollen Musiktheaterabends. Diese musikbetonte Inszenierung geht also durchaus nicht als „Faux Pas“ in die Tristan- Aufführungsgeschichte ein.