Jazzende Traumfabrik
Mit der szenischen deutschen Erstaufführung der 1934 in Wien erfolgreich aus der Taufe gehobenen „Lustspieloperette“ schreibt sich das Staatstheater Mainz nun seinerseits Maßstäbe setzend in die Annalen der Paul-Abraham-Renaissance ein. Vorausgegangen war eine konzertante Produktion des Werks an der Komischen Oper Berlin im vergangenen Jahr.
Abraham, der vor der Braunen Bande aus der reichsdeutschen Kapitale hatte fliehen müssen, brachte in der österreichischen Hauptstadt Märchen im Grand Hotel erfolgreich heraus, bevor er ins Exil nach Frankreich und anschließend in die USA ging.
Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda schufen für den Komponisten ein geradezu filmisches Szenario. Kein Wunder, beruht doch die Grundidee des Stücks auf einem zeitgenössischen Kinoerfolg, dessen Handlung variiert und an die Côte d'Azur verpflanzt wurde. Dort residiert finanziell ziemlich abgebrannt die von den Verfechtern der Republik vertriebene spanische Infantin Isabella samt ihrem Wiener Verlobten Andreas Stephan auf dem Weg zu ehelicher Vereinigung in wahrscheinlich schönstem hochadeligen Inzest. Dazu kommt es aber nicht, weil sich Kellner Albert in die Prinzessin verliebt und final von dieser erhört wird. Freilich stellt sich die vermeintliche Servicekraft als Erbe der Hotelierdynastie heraus, der die Luxusherberge eignet. Zudem lässt sich der zwar millionenschwere aber bürgerliche Galan ständischer Ebenbürtigkeit halber von einem balkanischen Kleinpotentaten adoptieren, auf dass aus ihm ein „echter“ Prinz werde. Dafür, dass die Schmonzette zur Hollywoodreife gedeiht, sorgt Filmmogulstochter Marylou Makintosh, die auf Schauspieler verzichtet, um einen Streifen zu drehen, in dem die Originalbeteiligten höchstselbst agieren.
Wie seine Librettisten, so nimmt Abraham die gängigen Operetten- und Hollywoodklischees geradezu anarchisch und berlinerisch unsentimental auf die Schippe. Weder Walzerseligkeit noch Tangoschmachten oder Foxtrott sind ihm heilig. Vieles hat gerade der beständig aufblitzenden Ironie wegen Filmschlagerqualität. Doch lässt erst der allgegenwärtige Jazz vernehmen, wohin die musikalische Reise geht.
Federleicht wie Libretto und Musik wiegen, wird Märchen im Grand-Hotel nur dann Nachspielerfolge an anderen Häusern zeitigen, wenn die Produktionen jenseits bequemlicher Operettenroutine angesiedelt sind. In Mainz ist das der Fall. Am Staatstheater wird alles unternommen, um das Stück durchzusetzen.
Das Regisseurduo Peter Jordan und Leonhard Koppelmann nimmt die Figuren auf zugleich menschenfreundliche und charmante Weise nicht ernst. Niemand wird kompromittiert. Die Dialoge sind blitzblank poliert und auf den Punkt gebracht. Slapstick darf sein und auch einmal terzettierend in der Badewanne landen, so wie die Infantin, der nach ihr schmachtende vermeintliche Kellner Albert und die neuengagierte „Zofe, die nicht flirtet“. Ironisch zugespitzte Eleganz kommt zu ihrem Recht, wenn sich die Tochter des Hollywoodmagnaten in einen Sessel hineingießt wie eine Art-déco-Porzellanfigur.
Tempo und Amusement bringt die Bühne von Christoph Schubiger ins Spiel, indem beständig Mobiliar, sei es ein ausladender Konferenztisch, ein Riesensofa für allerlei attraktive Gruppenbilder oder besagte Badewanne, ein Himmelbett und die unvermeidliche Prunkstiege des Grand-Hotels aus den Seitenbühnen auf- und abfährt. Projektionen erlauben blitzschnelle Ortwechsel, die die filmschnitthafte Dramaturgie des Stücks unterstreichen.
In seinen Videos greift Stefan Bischoff die Bildsprache der Entstehungszeit auf und spult jenen Streifen ab, den doch Jungfilmerin Makintosh gerade erst dreht. Ein Hingucker, der mit den Vorgängen auf der Bühne geradezu interagiert.
Barbara Aigners Kostüme setzen die reaktionär dem 19. Jahrhundert verhafteten Kleider der Adelssphäre pointiert vom Zwanziger-Jahre-Chic der übrigen Figuren ab. Wenn dann der Hochadel schlussendlich auf den amerikanischen Traum umsattelt, dann glamourös bis ins Paillettenkleid und seidige Fransenhemd.
Das Philharmonische Staatsorchester Mainz bedient sich des ebenso schwerelosen wie augenzwinkernden Abraham-Idioms, als habe es nie im Leben anderes getan. Samuel Hogarth, der überdies vom Flügel aus einem Jazztrio vorsteht, leitet beständig zwischen Bühne und Graben wechselnd den vom Komponisten zu eigener Klangsprache amalgamierten musikalischen Stilmix unter jazzigem Primat mit zündender Paul-Abraham-Kompetenz.
Aus einem Guss präsentiert sich das aus Sängern und Schauspielern gemischte Ensemble. Jennifer Panara stattet die Infantin Isabella mit satt-runder Tongebung aus. Michael Dahmen leiht dem Pseudokellner Albert nicht nur seinen kraftvoll-eleganten Kavalierbariton, sondern überzeugt zudem durch gepflegte Sprechkultur. Nini Stadlmann zieht als regieführendes Glamourgirl Marylou Makintosh sämtliche sängerdarstellerischen Register. Von Bridget Petzold rasant choreographiert legt Stadlmann hinreißende Steptanznummern auf Parkett und Tische. Johannes Mayer kostet in bester Tenorbuffomanier pointensicher und schlankstimmig den blasiert-dekadenten aber als Vertreter einer ohnehin untergehenden Spezies nicht unsympathischen Prinzen Andreas Stephan aus. Anika Baumann gibt Isabellas Hofdame Gräfin Ramirez den denkbarst dümmlichen Dünkel mit auf den Weg, zudem virtuos schnellsprecherisches Parlando. Henner Momann als flirtvermeidende Zofe und schwer rheumatischer Zeremonienmeister und Altmilitarist Baron Don Lossas schiebt Kalauer heraus, die jeder Gala-Prunksitzung der Mainzer Fastnacht gut anstehen würden. Das Gesangsquartett mit Augustin Sánchez Arellano, Reiner Weimerich, Dennis Sörös und Dogus Güney lässt sich - meist auf der Treppe des Hotelfoyers positioniert und ins Bild hineingeschoben - nach Art der Comedian Harmonists untermalend und kommentierend, immer aber klangfüllig und ironisch-elegant vernehmen.