Durchgeknallt
Wer nach dem Kontrastprogramm zur alljährlich in Wien zelebrierten Gemütlichkeit der jahrzehntealten Otto-Schenk-Fledermaus in der Staatsoper sucht, wird im tiefsten deutschen Südwesten fündig. Die Freiburger Fledermaus entfernt sich denkbar von aller Bonhomie und wienerischen Maskerade, greift aber ins volle hedonistisch-korrupte Leben vor dem „Gründerkrach“ von 1874 wie vor jedem anderen Sturz und Zusammenbruch der Aktienkurse. Die Börsennachrichten prophezeien gegenwärtig eine Baisse. Bis es soweit ist, „lebe Champagner der Erste!“
In Freiburg reicht der in der besuchten Aufführung von der Regionalzeitung spendierte badische Schaumwein, um sich dem Sog der schrillen Produktion zu öffnen. Nicht minder saufen sich die Figuren des Stücks den Trash auf der Bühne schön. Denn die Spaßgesellschaft aus Rentiers und Heuschrecken aller Art betreibt ihre Ränke als Partyspiel und die schenkelklopfende Entwirrung der geschürzten Knoten als feuchtfröhlichen Anlass zur nächsten Walzer- und Schaumweinorgie. Regisseurin Beate Baron lässt die Figuren hemmungslos outrieren. Die Fledermaus-Personage fürchtet sich nicht davor, kompromittiert zu werden und trachtet keinesfalls aufs Verbergen, sie schützt die Heimlichtuerei lediglich vor. Das gehört zum Spiel, das alle Beteiligten im Ziel vereint, vor dem nächsten Abschwung auf möglichsten Lustgewinn zu spekulieren. Körperlicher Totaleinsatz ist erfordert, den Regisseurin Baron denn auch beinahe bis zum Exzess treibt. Mögen immer die Herren enervierend häufig die Hüften schwingen oder sich in Tanzschritten wiegen, die Damen sind heftiger gefordert. Rosalinde fällt inflationär in Ohnmacht und nicht immer steht ein Mann oder Kanapee bereit, um sie aufzufangen. Trost bietet da einzig der Flachmann, den sie beständig mit sich führt. Wenn Adele in rasanter Robe von Franks Schreibtisch springt, bleibt ungewiss, was mehr Bewunderung verdient: Der Mut der sie verkörpernden Samantha Gaul, das kostümbildnerische Risikomanagement, das Gaul den Sprung bekleidet überstehen lässt, oder die Haftkraft des zur Fixierung ihres Fummels benötigten Klebstoffs.
Den Eisensteinschen Salon befüllt Michel Schaltenbrand mit allerlei bürgerlichem Mobiliar, das aus der zweiten Hälfte des vorletzten bis in die erste des vergangenen Jahrhunderts datiert. So etwas steht heute oft beim Antiquitätenhändler fürs unterste Preissegment herum. Jedenfalls taugt das Zeug für eine Müllhalde an Bürgerlichkeit.
Kostümlich bedenkt Gwendolyn Jenkins vor allem Rosalinde und Adele mit einer Fülle von Einfällen, die von bizarr bis lediglich extravagant reichen. Zeitlich ist das Ganze einigermaßen unspezifisch angesiedelt, aber doch der Gegenwart näher als einer wie auch immer gearteten Vergangenheit.
Gerhard Markson bewegt Streicher und Holzbläser des Philharmonischen Orchesters Freiburg zu ebenso schwungvollem wie feinnervigem Musizieren. Die Bläser lassen sich quakend und verquetscht vernehmen. Die unsensible Perkussion hätte einem preisgünstigen Automaten anvertraut werden können.
Der von Norbert Kleinschmidt einstudierte Opernchor des Theater Freiburg tönt fade. Den Eisenstein gibt Roberto Gionfriddo ein wenig undifferenziert phrasierend, dafür volltönend und durchschlagskräftig. Solen Mainguené ist eine darstellerisch höchst präsente, stimmlich etwas schmale Rosalinde. Die hinreißend anzuschauende Samantha Gaul ist nicht nur darstellerisch ein Feger, sondern beweist sich als koloraturblitzende Adele auf - soweit es die Figur zulässt - gesanglich eleganter Linie. Der Alfred von Joshua Kohl verfügt über genügend tenorale Viriliät, um die Angebetete hinschmelzen zu lassen. Juan Orozco ist ein darstellerisch höchst engagierter Frank. Der Falke von Michael Borth bleibt vokal wie darstellerisch blass. Inga Schäfer bietet einen schönstimmigen aber wenig prägnanten Orlowsky.
Fazit: Der Champagner mag an allem Schuld sein, doch leistet auch badischer Schaumwein das Seine.