Übrigens …

Brahms/Balanchine im Staatsoper Hamburg

Musik und Tanz vom Feinsten

Zu recht ist Hamburgs Ballettintendant John Neumeier stolz auf das hochkarätige, vielfältige Repertoire, das er mit dem Hamburg Ballett im Verlauf seiner bislang 45-jährigen Ära aufgebaut hat. Nicht genug kann man staunen über seine offenbar unerschöpfliche Kreativität, eigene Ballette zu schaffen (zuletzt im Frühsommer das Beethoven-Projekt) und über den nicht versiegenden Einfallsreichtum des gebürtigen Amerikaners bei der Auswahl und stimmigen Zusammenstellung von Werken der Tanzgeschichte aus über 400 Jahren. So beschenkt er seine große Anhängerschar nun zum Jahresende mit zwei Brahms-Balletten vom Vater des neoklassischen Balletts. George Balanchines Choreografie auf die Liebeslieder Walzer des in Hamburg geborenen Komponisten und die Tanzschöpfung auf dessen Klavierquartettg-Moll in der Orchesterfassung von Arnold Schönberg waren bisher noch auf keiner Ballettbühne der Welt im selben Programm vereint. Die Rechnung geht in schönster Harmonie auf.

Mit feinem Gespür konzipierte Balanchine 1960 in New York auf die beiden Walzerzyklen Opus 52 und 65 für zwei Pianisten und Sängerquartett ein Kammerballett für vier Tänzerpaare in einem vornehmen Wiener Biedermeier-Salon mit drei hohen Flügeltüren, die offenbar in einen parkähnlichen Garten führen. In dezent elegantem Frack die Herren, in großer pastellfarbener Taft-Robe die Damen, schwingt man sich zunächst im Dreierrhythmus, kokettiert, streut gewagte Ballettfiguren ein. Die Formationen und Paarungen wechseln wie bei einem Hausball.

Anders der zweite Teil nach kurzer Umbaupause: nun stehen die Türen weit offen. Am nachtblauen Himmel strahlen die Sterne. Die Damen tragen halblange, silbergraue Tutus, die Herren das klassische Habit des Ballerinos mit weitärmeligen Seidenblusen und körperengen Beintrikots. Viel subtiler und viel individueller wirken nun die Duette. Die Musik, der Orchesterklang allerdings fordert deutlich mehr emotionale Distanz, lädt das Publikum zu theatralischem Zuschauen ein.

Die Besetzung ist vom Feinsten: Silvia Azzoni, Sara Ezzell, Patrizia Friza und Anna Laudere sowie Carsten Jung, Matias Oberlin, Edvin Revazov und Alexandre Riabko begeistern nicht minder als die sechs Musiker an der linken Seite der Vorderbühne: Mariana Popova und Burkhard Kehring (Klavier) mit dem Sängerquartett Marie-Sophie Pollak, Sophie Harmsen, Georg Poplutz und Benjamin Appl - hier wie dort eine sehr gelungene Melange aus erfahreneren und sehr jungen Künstlern.

Brahms' Klavierquartett ist heute viel bekannter in Schönbergs Orchesterfassung als in der Originalbesetzung. Das passt vorzüglich. Balanchine konzipierte auf das Konzertstück mit vier völlig eigenständigen, unterschiedlichen Sätzen eine Gruppenchoreografie. In roten schwingenden Kleidern treten die Tänzerinnen zum Allegro auf die leere Bühne. Einzige Dekoration ist ein dramatisch geraffter Vorhang , der über den Rückprospekt drapiert zu sein scheint. Zum Intermezzo fällt er und bedeckt die gesamte Hinterfront, sodass ein intimer Raum für ein Quintett entsteht. Im Andante verschwindet er wieder halb, die Szene verdüstert sich. Zu den klassisch-symmetrischen Diagonalen und Flanken der großen Gruppe des Corps de ballet in russisch anmutenden Kleidern mit schmalem Pelzbesatz am lang gezogenen Ausschnitt zelebrieren die Stars Hélène Bouchet und Alexandr Trusch sowie das Damen-Trio Olivia Betteridge, Giorgia Giani und Airi Suzuki technisch hoch anspruchsvolle Soli und kleine Ensembles.

Selbstredend, dass das zündende „Rondo alla Zingarese“ mit seinen feurigen Csárdás-Rhythmen, präsentiert in ungarischem rot-weiß mit Stiefeln und Bändern - mit der Japanerin Madoka Sugai und dem Armenier Karen Azatyan, unterstützt vom Corps, die Zuschauer zu Beifallsstürmen hinreißen würde - ein richtiges Bonbon also zum Abschluss. Für manchen womöglich gar ein Trostpflaster. Denn dieses in jeder Hinsicht anspruchsvolle Programm mit zwei weitgehend völlig abstrakten Balletten ist nicht jedermanns Sache. Hamburg liegt dem (im besten Sinn) großen Entertainer John Neumeier und seinen Handlungsballetten zu Füßen, ist freilich durch seine sinfonischen Mahler-Ballette bestens geschult für derlei Delikatessen.

An diesem Abend läuft - bei aller großartigen Feinheit Balanchinescher Choreografie und der stilsicheren Noblesse des Hamburg Balletts - die Konzertmusik der Tanzkunst den Rang ab. Was für ein Weihnachtsgeschenk!