Vom Rassenwahn getrieben
Die Frankfurter La forza del destino provoziert in des Wortes ureigenster Bedeutung. Niemanden lässt sie kalt. Jeder muss sich zu ihr verhalten.
Dazu trägt bereits die Wahl der Petersburger Urfassung aus dem Jahr 1862 bei. Zwar bedeutet das unter anderem den Verlust der Wunschkonzertouvertüre, doch die straffere, widerspenstigere und schroffere Dramaturgie der Oper wiegt ihn allemal auf.
Der unerbittliche Durst nach Vergeltung, der La forza del destino durchzieht, wird von dem bestimmt, was wir heute Rassismus nennen. Don Alvaro stammt mütterlicherseits von einer Inkaprinzessin ab. Weil die Männer der Calatravasippe ihn vollständig über sein indianisches „Blut“ definieren, empört sie sein Werben um Leonora bis zur Weißglut. Doch zeigt sich das Vorurteil selbst in der Geistlichkeit verbreitet, wenn ein Ordensmann wie Fra Melitone den Mestizen mit losem Mundwerk beargwöhnt.
Grund genug für Tobias Kratzer, Rassismus als das von seinen Mitmenschen wie ein Netz über Don Alvaro ausgeworfene Verhängnis - sein „Schicksal“ - zu identifizieren. Freilich siedelt der Spielleiter die Begebnisse in markante Episoden aus der Geschichte der Afroamerikaner in den USA um. Das beginnt beim filmisch duplizierten Südstaatendrama im Haus Calatrava und scheut weder vor einem zur Niederlassung des Ku Klux Klans mutierten Kloster noch vor einem „Apokalypse-Now“-Szenario. Dort erschießt die zur Frontunterhaltung angetretene Preziosilla einen gefangenen Vietnamesen, um die Mordlust der aus Weiß und Schwarz zusammengesetzten GIs zu befeuern. Wie bald die kriegskameradschaftlichen Bande reißen, wenn rassistisches Vorurteil und Standesdünkel die Oberhand gewinnen, demonstriert Kratzer an Carlo, der seinem Lebensretter Alvaro nicht anders zu danken weiß, als ihn zur Hölle schicken zu wollen. Spätestens hier offenbart sich, wie sorgfältig Kratzer seine Sichtweise unmittelbar aus Dramaturgie und Partitur der Oper abzuleiten vermag.
Zuweilen faustdick ironisiert Rainer Sellmaier seine praktikablen Schauplätze, etwa einen riesenhaften Playmobilsaloon samt zugehöriger Figürchen in den Uniformen der amerikanischen Bürgerkriegsparteien, für die er als Kostümbildner ebenfalls verantwortlich zeichnet.
Die musikalischen Leistungen überzeugen eingeschränkt.
Einstudiert von Tilman Michael, füllen Chor und Extrachor der Oper Frankfurt ihren Part angemessen aus.
Jader Bignamini bevorzugt mit dem kultiviert-zurückhaltenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester gemäßigte Tempi und kammermusikalische Nuancierung.
Schöne Piani, dunkle Farben und volumensatte Emphase zeichnen die Leonora von Michelle Bradley aus. Über weite Strecken hält Bradley ihr Vibrato im Zaum, ausgerechnet final entgleitet es ihr. Hovhannes Ayvazyan verfügt für Don Alvaro über ein differenziert-tenorales Spektrum. Mitunter führt Ayvazyan die Stimme eng, auch fehlt ihm die letzte Attacke. Der Don Carlo von Christopher Maltman tönt wiederholt fahl und falb. Viel Kraft verwendet der Bariton auf die Erzeugung von Lautstärke. Franz-Josef Selig agiert in der Doppelrolle von Marchese Calatrava und Padre Guardiano. Beide streicht er durch profunde Bassautorität heraus. Craig Colclough profiliert Fra Melitone, Tanja Ariane Baumgartner die Preziosilla.