Schwierige Reise ins Innere
Peter Ruzicka, eine der prägenden Persönlichkeiten des Musiklebens, hat sich in seiner dritten Oper nach Celan und Hölderlin dem Leben eines Getriebenen und Vertriebenen zugewandt: In Benjamin wird nach dem Libretto von Yona Kim versucht, das Innere eines Menschen zu ergründen, dessen Flucht vor der Nazi-Verfolgung 1940 im spanisch-französischen Grenzort Portbou per Selbsttötung endete. Was zwar gelegentlich angezweifelt wird, aber als Geschichtsbild notiert scheint und auch nicht Thema dieser Oper ist. Vielmehr geht es um eine Annäherung an den Kulturphilosophen Walter Benjamin, wobei die sieben Szenen weniger biografische Erhellung suchen, sondern über Dialoge etwa mit Bertolt Brecht oder Hannah Arendt und Asja Lacis darum, sowie über sich überlagernde Erinnerungsfetzen ein schemenhaftes Bild von einem Mann zu entwerfen, der - auch - in rastloser Reiselust die Sehnsucht nach sich selbst stillen wollte.
Das Team mit Ingo Kerkhof sowie Anne Neuser (entschlackter Bühnenraum) und Inge Medert (unaufgeregte Kostüme) nähert sich einem Mann, dessen Flucht auch eine ins geschriebene Wort ist, wenn er - brillant gespielt und gesungen von Miljenko Turk - immer mehr in Manuskripten wühlt, sich in ihnen verliert. Wie ein Blitz dringen knallharte Koloraturen der Figur Asja L., jener lettischen Marxistin, die ihm die wahre Lehre beibringen will, zu ihm durch. Yasmin Özkan hat dafür Stimme und Ausstrahlung. Wie Peter Ruzicka überhaupt eine sehr differenzierte Formen- und Klangsprache für Stoff und Figuren entwickelt. Hannah Arendt (Shahar Lavi) saugt natürlich am Glimmstängel, Gershom Sholem (James Homann) versucht vergeblich, Walter Benjamin ins gelobte Land zu locken und Dora K. (Denise Seyhan), hier als Mutter und Schwester zugleich angelegt, wird vergeblich eine schützende Hand über ihn ausstrecken, derweil Bertolt Brecht (Winfrid Mikus) bei einer Partie Schach über die Idee des epischen Theaters nachdenkt, das wohl auch Auslöser für den Regie-Ansatz von Ingo Kerkhof war.
Die Musik von Peter Ruzicka ist stark, vielschichtig, intensiv und vom Philharmonischen Orchester unter GMD Elias Grandy stark übersetzt, zuweilen bis zur Schmerzgrenze. Außerordentlich dichte Chorszenen bis hin zu Requiem-artigen Einschüben setzen ebenso Glanzlichter wie die instrumentale Behandlung einschließlich raffiniert eingesetztem Schlagwerk. Nach der Uraufführung im Juni 2018 an der Hamburgischen Staatsoper erlebt Heidelberg eine nahegehende Zweitinszenierung. Heftiger Beifall.