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Orphée et Eurydice im Staatstheater Hamburg

Eurydike verweigert sich Orpheus als Muse

Als Koproduktion der Staatsoper Hamburg mit der Lyric Opera of Chicago und der Los Angeles Opera kam John Neumeiers Inszenierung von Glucks heute am meisten aufgeführte Oper früher auf die Bühne der beiden US-Opernhäuser als in der hanseatischen Wahlheimat des gebürtigen Amerikaners. Kaum verwunderlich, dass Hamburgs Ballettintendant Glucks französische Fassung wählte, fügte der ehrgeizige barocke Kosmopolit doch der antiken Tragödie - entsprechend den damaligen Vorlieben der Franzosen - seiner ursprünglichen Wiener Fassung eine ganze Serie von Tanznummern an.

Ebenso wenig erstaunlich ist aus Neumeiers heutiger Sicht die Rahmenhandlung im Ballettsaal: der antike Künstler Orpheus ist ein Choreograph. Dessen Ehefrau ist seine Primaballerina, Instrument seiner künstlerischen Ideen wie die Geige in Neumeiers Orphée-Ballett, die erst zu Leben erwacht durch Eurydike. Auch diesmal verweigert sie sich ihm sehr deutlich als Muse (neudeutsch: „Inspiration“). Im Streit mit ihm um sein neues Ballett Die Toteninsel nach Arnold Böcklins Gemälde stürmt sie aus dem Probensaal, rast auf der Heimfahrt im Kleinwagen gegen einen Baum und kommt ums Leben. Aber der Künstler braucht sie, und Amor versichert, die Erinnerung an sie werde ihm Kraft für neue Kreationen geben.

Schon Glucks Librettist wusste um die delikate Balance von Geben und Nehmen als Geheimrezept für lebenslange Liebe. Er mahnt Eurydike: „Entflohene, kehr' zurück!“

Pina Bausch fokussierte auf den Künstler Orpheus und begann ihre Revolution des deutschen Bühnentanzes dezidiert doppeldeutig mit Glucks Oper als Trauerritual.

Dagegen enttäuscht Neumeiers aalglatte Inszenierung als allzu anbiedernd an die Tanzhistorie. Auf den Wänden von mobilen Kubikeln wird Böcklins Gemälde zerlegt, um schließlich als gigantischer Rückprospekt zu prunken, vor dem die Kompanie Gruppentänze als Hommage auf die Grande Dame des Modern Dance, Martha Graham und deren antike Posen in wallenden Gewändern zelebriert. Was Wunder, dass die drei wilden „Cerberusse“ bei der Premiere den meisten Schlussapplaus einheimsten.

Neumeiers Orpheus - der russische Tenor Dmitry Korchak - konnte bei der Hamburger Premiere mit sonst oft auftretenden Countertenören (oder auch Altistinnen der Wiener Fassung) vor allem in den hohen Lagen nicht mithalten und blieb darstellerisch blass. Dagegen überzeugte Andriana Chuchman anfangs auch mit hübschen Tanzeinlagen, vor allem aber stimmlich als emanzipierte Eurydike. Edvin Ravazov und Anna Laudere doubelten das Paar tänzerisch virtuos. Die knabenhafte Marie-Sophie Pollak bezauberte als Amor/choreografischer Assistent.

Der dirigierende Barock-Spezialist Alessandro De Marchi fuhr die Tempi vor allem in den Chören fast unerträglich weit zurück. Einige Opernfreunde bekundeten am Ende ihren Unmut - worüber auch immer.