Totart Tatort im Schauspiel Zürich

Der „Tatort“ - eine „tote Kunst“?

Es ist ein raffiniertes Wort-Versteckspiel, mit dem Autor und Regisseur Herbert Fritsch jetzt die Bühne des ehrwürdigen „Pfauen“ in Zürich eroberte. Nennt er sein neuestes Stück, das er auch selbst als Uraufführung inszenierte, doch Totart Tatort

Die Kultserie, im November 1970 erstmals ins deutsche Fernsehen geschneit und seitdem mit über 1000 Filmen wie ein Spinnennetz die ARD-Programme überziehend, betrachtet der Tausendsassa Fritsch nämlich als „Problem für die Kunst insgesamt“, „schlittert die (doch) allgemein ins Tatort-Format“. Der „Tatort“ also ein Synonym für „Totart“ - „Tote Kunst“? 

Kann Fritsch nun seinerseits künstlerisch überzeugende Funken aus dem vermeintlichen Kunst-Debakel namens „Tatort“ schlagen? Erwarten konnte man von ihm, wie schon so oft, ein Panoptikum aus Wahnwitz.

Neunzig Minuten später, also exakt der Länge eines echten „Tatorts“ entsprechend, steht das Urteil fest: Verrückter und absurder geht’s nimmer. Ob Fritschs Szene-Arrangements nun Kunst oder nur verkünstelte Albernheiten sind, ob Theater oder Performance, scheint unerheblich. Unerheblich angesichts einer Schau, die das ganze Krimigewerbe so schamlos, gekonnt und voll absurder Slapsticks in Lächerlichkeit aufgehen lässt, dass es an Ende nur heißen kann: Dieser Zürcher Theater-„Tatort“, in dem „zersägt, gehäckselt und zerhackt“ wird auf Teufel komm raus, ist nicht von schlechten Eltern. 

Allein die Tatsache, dass gleich zehn Akteure auf der Krimi-Bühne stehen, fünf Männer und fünf Frauen, lässt an Fritschs Logik zweifeln. Aber genau darum geht’s ja: dem Immergleichen seine Sinnlosigkeit zu bestätigen. Falls das so ist, gelingt der Inszenierung das blendend. So weiß niemand, weder das Publikum noch die zehn auf der Bühne, worum es eigentlich geht. Doch gerade darin liegt auch der Charme dieser theatralischen Zurschaustellung eines TV – Dauerbrenners.

Grandios und in vielfacher Hinsicht doppelsinnig ist bereits Fritschs Bühne, die er selbst kongenial zu seinen Intentionen bietet. Der Raum, der das Geschehen und die Akteure auf der Bühne vielfältig widerspiegelt, läuft auf ein in immer wieder anderen Farben aufleuchtendes Zentrum zu – auf eine türgroße Öffnung, aus der heraus alles quillt und in der auch wieder alles verschwindet. Sie ist die Tür zu den Geheimnissen dessen, was Fantasie aufbietet.

Gleich zu Beginn wird die Liebe zu Leichen auf die Schippe genommen. Ein Mann, der immer wieder mit seinem permanent herabfallenden Hut kämpft, zieht einen leblosen Körper auf die Bühne. Kaumist er damit erfolgreich, tauchen eine zweite, dann eine dritte Leiche auf. Achtung: Krimi! Acht hat er schließlich durch das Höllentor in die Szene gezogen. Doch wenig später werden sie, im gleichen Rhythmus, wieder lebendig. Sie erheben sich, staksen vereint zur Rampe – und starren wenig später, mit grünen OP–Gummihandschuhen versehen, in ein Loch – das wir nicht sehen.

Und dann fallen doch tatsächlich, nach einer halben Stunde, die ersten Worte. Aber gemach: Sinnvoll klingt nicht, was Markus Scheumann, eine Art Vordenker dieser zehn Kriminalisten, von sich gibt. Bloß nicht nach der Logik fragen. Blühender Unsinn, äußerst intelligent aufgezogen, hat das Regiment übernommen.

Was diese Performance, die voller theatralischer Moment steckt, kennzeichnet, ist die grandios eingesetzte, geradezu choreographierte Körperlichkeit der verrückt-glorreichen Zehn. Ob sie nun, vor Angst zitternd, in Rudeln ineinander verkeilt und miteinander verzahnt sind, oder Arm in Arm, alle in rhythmisch gleicher Bewegung und Mimik, in einer Linie an die Rampe treten - sie sind einfach blendend. In jeder Bewegung, in jeder Mimik und körperlicher Verrenkung bieten sie die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten auf, die Theater auch auszeichnet - bis zur mitreißend grotesken Karikatur. 

Sogar über das eigentliche Ende des Stücks bleibt Fritsch seinen Verrücktheiten treu: Dann lockt er sein Ensemble, nun silbrig glänzend und glitzernd, noch einmal zum Applaus auf die Bühne – und knallt sie, einen nach dem anderen, nieder. Die Wirklichkeit hat sie wieder. 

„Mord!“ war übrigens das vermeintlich letzte Wort aller Akteure aus der Finsternis heraus. Doch das allerletzte ist „Mist“! Ob Fritschs Selbstironie den gesehenen Tatsachen Rechnung trägt, muss jeder Besucher für sich selbst entscheiden. Nein! Ist das eindeutige Urteil des Autors dieses Bericht. Langer und intensiver Applaus.