Zerrissenheit in feinen Tönen
Wenn man in ein Theaterstück geht, in dem das Thema „manische Depression“ im Mittelpunkt steht und dann noch erfährt, dass das Ganze drei Stunden gehen soll, weiß man nicht, ob dies der eigenen Psyche gut tut.
Das Gastspiel des Burgtheaters Wien in der Volksbühne mit Joachim Meyerhoff im Mittelpunkt schafft vieles, aber sicherlich nicht, die Zuschauer mit einem schlechten Gefühl zu entlassen.
Mit dem Thema „Depression“ hat der bekannte Schriftsteller Thoms Melle, selbst manisch-depressiv, einen Hit gelandet: Die Welt im Rücken war ein Verkaufserfolg und wurde in der deutschen Medienlandschaft hoch und runter thematisiert. Offen, dicht, zwingend und schonungslos schildert Melle die Gemütslagen zwischen Manie und Depression. Die Krankheit, bei der Phasen großen Antriebs und nicht selten Schaffenskraft sich mit Episoden des Schamgefühls abwechseln, ist nichts, über das man lachen sollte – der Schauspieler Meyerhoff, irrsinnig sympathisch als zerrissener Held, erzwingt in der Volksbühne bei den Zuschauern jedoch immer wieder lautes Prusten und zum Schluss Ovationen im Stehen, denn Meyerhoff/Melle scheint mit der Krankheit zu spielen und ihr einen ironischen Dreh zu geben.
Warum ist jemand depressiv, der mit seiner Schriftstellerei einen Erfolg nach dem nächsten einfährt, Preise abräumt und so eine innere, kreative Stärke besitzt, von der viele träumen? Der Held rechnet vor: In zwei Wochen hat er bereits ein Theaterstück geschrieben, mit einfacher Mathematik kann man da locker zwanzig Theaterstücke pro Jahr schreiben. Melle schreibt die Nächte durch und erscheint abgerockt zur Theaterprobe, drangsaliert die Schauspieler mit seiner Manie – und dann die Welt der Schriftstellerei, ein sonderbares, egozentrisches Paralleluniversum, schillernd und seltsam kalt zugleich. Christian Kracht beschimpft ihn und Melle steht drauf, er trifft vermeintlich Picasso und ist von Björk angenervt, weil sie sich zu viel Laub ins Haar steckt. Ein erstrebenswerter Lifestyle? Auf wikipedia wird die „schwierige Kindheit“ Melles angedeutet, ein Schlüssel, um die Triebfeder des Schriftstellers – 1975 geboren – besser zu verstehen?
Meyerhoff legt seinen Penis auf einen Kopierer, hastet über die Bühne, die Sätze gehen nicht aus, sie sprudeln, doch finden sie keinen Punkt, keine Ruhe.
Er stellt sich an den Rand der Bühne und beschimpft die Zuschauer in der ersten Reihe, macht sich über Beziehungskonstellationen und Handtaschen lustig. Böse kann man ihm nicht sein, denn er hat recht und vielleicht liegt in Melles versponnener Welt dann doch mehr Wahrheit, als hinter so mancher glatten Fassade je zu finden ist.
Die Zerrissenheit in feinen Tönen ist temporeich und treffend, eindringlich und witzig zugleich.