Große Oper
Die Frankfurter Oper genießt in Sachen Barockaufführungen einen ausgezeichneten Ruf, und das nicht nur in dem, was auf der Bühne passiert, sondern auch wie es aus dem Graben klingt. Aktuell stand Rodelinda, Regina de‘Longobardi auf dem Spielplan, ein selten gespieltes Werk von 1725, im berühmten Londoner King‘s Theatre uraufgeführt. Die Frankfurter Vorstellung unter der Regie des international stark gefragten Claus Guth hatte bereits eine ordentliche Wanderung hinter sich; nach der Premiere vor zwei Jahren in Madrid ging es über Barcelona und Lyon nun an den Main. Hier wartete schon das bewährte Opern- und Museumsorchester, davon viele Musiker mit Originalinstrumenten, die Streicher mit Darmsaiten, die Hörner ohne Ventile, im Continuo Laute und Barockgitarre. Dazu doppeltes Cembalo, eines davon vom italienischen Dirigenten Andrea Marcon intermittierend gespielt. Er ist ausgewiesener Barockspezialist, Gründer des „Venice Baroque Orchestra“, als solches bereits mit Aridodante in Frankfurt sehr gelobt aufgetreten. Bei hochgefahrenem Graben gab es vor allem einen kompakten Klang, aber auch viel zu sehen vor allem bei den Bläsern, die ihre Soli - manchmal zusammen mit den Sängern - im Stehen spielten. Denn die komplizierte Geschichte um den totgeglaubten König Bertarido, dessen Witwe Rodelinda den Grimoaldo heiraten soll, damit dieser Herrscher über Mailand werden kann, zieht sich über dreieinhalb Stunden schon hin. Konkurrent für ihn ist Garibaldo, ihm hilft dabei Eduige, die Schwester von Bertarido. Jetzt wird es kompliziert, denn Bertarido hat sich geoutet, wer er in Wirklichkeit ist, Grimoaldo plant ihn zu ermorden und buchtet ihn sicherheitshalber erst mal ein. Bertaido rettet jedoch seinen Rivalen, Grimoaldo heiratet alternativ die Eduige und Bertarido ist wieder der König von Mailand. So einfach ging das damals.
Über die ganze Inszenierung ziehen sich offensichtlich live gezeichnete Kreidebilder, wie von einem Kind erstellt. Sie erklären die Handlung, die Personen, etliche Details. Und stammen wohl von Flavio, dem Sohn des Bertarido, der von Anbeginn an ständig präsent war, überall herumwuselte, im Hintergrund lauschte und alles beobachtete. Fast die Hauptfigur der Inszenierung. Denn es stellt sich heraus, dass dieses Kind sämtliche Intrigen, Verleumdungen und Missstände erkennt und massiv darunter leidet; wie bei einer Psychotherapie versucht es die Bilder in seinem Kopf zeichnerisch zu löschen. Immerhin muss Flavio die Ermordung des Vaters und die Werbung eines fremden Mannes um seine Mutter verarbeiten. Für jede der handelnden Personen hat Claus Guth eine Maskenfigur ersonnen; auch diese sollen dem Kind psychisch helfen. Ganz erstaunlich, wie der vermeintliche Knabe seine Rolle ausfüllte; der Blick ins Programmheft stellt ihn vor als den kleinwüchsigen kolumbianischen Schauspieler Fabián Augusto Gomez Bohórquez, der mit der Inszenierung quasi mitreist.
Musikalisch ist das Allerfeinste zu goutieren. Marcon lässt die vielfarbige Musik aufblühen, fordert von seinen Bläsern nuancenreiche Linienführungen und natürlich präzise Einsätze. Einfach wunderbar, genauso wie das Sänger-Ensemble. Allen voran Andreas Scholl, der als Bertarido auch mit seinen 52 Jahren immer noch über einen erstklassigen Altus verfügt. Musikalischer Höhepunkt der Oper ist das lange Abschiedsduett mit seiner Frau Rodelinda (Lucy Crowe), mit einer unglaublichen Intensität, die wohl manche Träne hat fließen lassen. In ihren drei zornigen Arien gegen Grimoaldo, gegen Garibaldo und dann gegen beide zeigt sie ihre ausgeprägte Persönlichkeit. Den Grimoaldo singt und spielt Martin Mitterrutzner mit superbem Tenor, und Katharina Magiera punktete erfreulich als Eduige. Der angehende Counter-Star Jakub Józef Orlinski konnte die hohen Erwartungen in ihn nicht ganz erfüllen, seine Stimme klang wenig klar und prägnant, die Koloraturen kamen leicht verwaschen, während der kernige Bass von Bozidar Smiljanic hervorragend zur Rolle des Garibaldo passte.
Ein drehbares, an drei Seiten offenes weißes Haus hatte Christian Schmidt entworfen, bekannt als „Georgean House“ aus dem 18. Jahrhundert. Hier wird auf zwei Ebenen gespielt, eine große Treppe verbindet die Ebenen, auch markant eingesetzt für die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung der Protagonisten; die Fassade eignet sich prima für die Videos mit den Zeichnungen des dramatisch seelisch verletzten kleinen Flavio. Auch die Kostüme sind passend schwarz-weiß gehalten.
Es war ein großer Opernabend, wenn auch recht lang und im ersten Teil etwas ermüdend. Was vielleicht auch am Fehlen von Opernchor-Einsätzen liegt. Händel war ja nun ein begnadeter Chor-Komponist. Aber ein Opernchor kostete halt viel, schwierig für sein kleines privat finanziertes Theater. Egal, riesiger Jubel belohnte Sänger und das Produktionsteam völlig zu Recht.