Gefangen im Wahnsinn
Enis Maci, die junge, 1993 in Gelsenkirchen geborene Schriftstellerin, hat mit Mitwisser scheinbar einmal in den Wahnsinn der modernen Welt gegriffen: Schnell, drängend, energetisch zieht ihr Text die Besucherinnen und Besucher in einen Sprachraum, in dem die Sätze gegeneinander streiten, die Dialoge so direkt und forsch daher kommen, dass sie einen an manchen Stellen kalt treffen.
Die moderne Welt, was zeichnet sie aus? Da hätten wir auf jeden Fall das Internet. In der Weite des Netzes scheint alles anonym und vertraut zugleich. Eine Parallel- und Scheinwelt, die für viele jedoch das Reale ausmacht.
Maci fischt aus ihr drei reale Verbrechen aus heraus, die sich gegenseitig an Scheußlichkeit überbieten: Ein Teenager in einer amerikanischen Kleinstadt lädt seine Whats-App-Gruppe in das Haus seiner Eltern ein, die Party gerät außer Kontrolle. Auf der anderen Seite der Erdkugel wird Nevin Yildirim vergewaltigt und im Ruhrgebiet entschließt sich Nils Donath zum Bruch mit der westlichen Kultur: „Sprachmächtig und fesselnd untersucht Enis Maci eine von Gewalt geprägte Welt, für deren Bewohner die Konfrontation mit den Abgründen des Menschlichen zum Lebenselixier geworden ist“, beschreibt das Deutsche Theater.
Gegen den Wahnsinn setzt Maci als stilistisches Mittel das „Ökosystem der Mitwisser“, eine Art alternatives Gericht, das nach den Umständen und Hintergründen der Taten fragt - bruchstückhaft, assoziativ: „Die Grenzen zwischen Richter und Verteidiger, Zeugen oder Angeklagten verwischen“, so das Theater.
Der dichte Hallraum, den Maci aufmacht, ist in seiner sprachlichen Attraktion überzeugend. Die Schauspielerinnen und Schauspieler Simon Bauer, Lili Epply, Steffen Link, Vassilissa Zeznikoff, Sebastian Schindegger geben die überdrehten Gestalten mit ihren Fratzen und irren Zügen überzeichnend, ohne jedoch zur Karikatur zu werden. Stilisierende Bühne und abwechslungsreiche Musik unterstützend Macis Text.
Die irre Welt der Gegenwart, sie bleibt Inspiratorin für eine Auseinandersetzung mit ihr. Im Guten wie im Bösen.
(Da Mitwisser auch bei den Mülheimer "Stücken" zu sehen war: Lesen Sie die Meinung unserer Autorin Christa Fluck hier )